Thomas Krause - Sonderhäftling Eller

Thomas Krause, Braunschweig
Sonderhäftling Eller  


Und meinen Beitrag hätte ich auch jeder und jedem aufgedrückt zu jedem Thema, bis er endlich einen Film und einen eigenen Raum in der Gedenkstätte bekam.
Nachdem ihn dann auch der Präsident genannt hat, am 20. Juli, da könne ich immerhin für einmal nicht unzufrieden sein.

Dass man ihn so lange verdrängt hat, mag ja nun auch wieder zu den Ursachen gehören …

Ich komme aus einem Land, in dem man jahrelang unbehelligt mordend durchs Land ziehen kann, wenn man sich nur tarnt, indem man sich wie eine nicht mehr existente Automarke nennt.
Ich meine, ist klar, die Geheimdienste sind damit be-schäftigt, alle Mails zu lesen, in denen das Wort Bombe vorkommt (dies als Hinweis für alle, die die Mail lesen wollen, wenn ich meinen Text in die Redaktion schicke, das wird nicht helfen, der Trick ist,meine Redakteurin und ich, wir beleben die glei-che Wohnung), … (gut, und wenn das Wort vorkommt, muss noch lang nicht reagiert werden, wie man heute weiß, Anm. der Red.)
… aber das Wort NSU, da werden nostalgische Gefühle wach …
Er war zurückhaltend, hielt sich meist etwas abseits.
Aber die ihn kannten, kannten ihn als freundlich und hilfsbereit.

Ich weiß nicht, ich glaube, ich muss es tun. Man muss ihn töten.

Er hatte Motiv, Gelegenheit, Möglichkeit. Und er hatte den Willen.
Den Willen, sich die Möglichkeit zu überlegen und die Gelegenheit zu verschaffen. Den freien Willen. Zu einer Zeit, als dieser sich mehrheitlich freiwillig (wie auch sonst als freier Wille) gleichgeschaltet hatte.

Ich sehe keine andere Möglichkeit. Vielleicht wachen sie dann auf.

Er zog in die große Stadt, die Hauptstadt der Bewegung, und mietete eine Werkstatt.
Das Gebäude, in welches er musste, in welchem er ihn antreffen würde, es war nicht schwer zu finden.
Tag für Tag würde er es aufsuchen bis zu dem Tag der Rede. Die Vorbereitung würde einige Zeit in Anspruch nehmen, schwäbische Geduld und Tüchtigkeit seine Verbündeten sein.

Ich habe ein Gewissen. Mein Gewissen sagt mir, ich muss es tun, wenn sonst niemand etwas tut.

Er dachte an den bevorstehenden Tag. Wie oft hatte er es sich vorgestellt. Gut, dass er ein so geschickter Handwerker war. Und er eine Weile in einer Uhrenfabrik geschafft hatte.
Er zweifelte nicht, dass der Sprengsatz hochgehen würde.
Und das zu der von ihm bedachten Zeit.
Er hatte alles möglichst einfach gehalten. Wie auch, er hatte sich alles unauffällig besorgen oder selbst herstellen müssen.
Nun ja, einfach, fast hätte er gelächelt. Sofern eine Bombe mit einem raffinierten Zeitzünder für einfach gehalten werden kann.

Er würde sogar, ohne Verdacht erregt zu haben, völlig unbehelligt aus der großen Stadt verschwinden. Nur um später eher zufällig an der Schweizer Grenze aufgegriffen zu werden. Wahrscheinlich ein Schritt der von dem Kanzler häufig bemühten Vorsehung.

Und was hatte er nicht alles bedenken müssen? Be-vor er in die große Stadt ging, hatte er sich Arbeit in einem Steinbruch gesucht, die einzige Möglichkeit, an Sprengstoff zu kommen.
In seinem Stadtviertel, dem Viertel, in dem die Werk-statt lag, gab er sich den Nachbarn gegenüber als Erfinder aus. Und dann erst der Einbau der Bombe. Tag für Tag ging er in den Bürgerbräukeller, nahm erst eine einfache Arbeitermahlzeit zu sich und wartete dann eine Gelegenheit ab, sich in der Besen-kammer zu verstecken.  
Dann das Warten, bis Gäste und Wirtsleute gegangen waren.

Mein Gewissen sagt mir, ich muss es tun, wenn sonst niemand etwas tut.

30 Nächte brauchte es, eine Säule des Bürgerbräukel-lers auszuhöhlen.
Eine Säule direkt hinter dem Rednerpult.
30 Nächte, bis der Schauplatz des jährlich wiederkeh-renden Ereignisses präpariert war. Die Bombe würde genau zu der von ihm vorgesehenen Zeit explodieren.

Ich muss es tun, wenn sonst niemand etwas tut.

Er hatte es lange überlegt. Für eine kurze Zeit erschien es, dass der andere zu weit gegangen war.
Der Beginn des Krieges hatte die Bevölkerung er-schreckt und in ihrem Glauben an „Ihn“ erschüttert. Und erst die Kriegserklärung der Verbündeten des Angegriffenen.
Die Bevölkerung befürchtete erneut einen Zweifrontenkrieg, wie in dem vorherigen Kriege, dem Welt-krieg. Doch dann, nach der Kriegserklärung, war nichts geschehen.
Und der Feldzug war unerwartet erfolgreich verlaufen, viele waren bereits zurückgekehrt und hatten den Angehörigen mitgebracht aus dem besetzten Land.
Die Stimmung war wieder umgeschlagen.
„Er“ hatte wieder recht behalten.
Die Verbündeten des Angegriffenen würden nicht eingreifen. Sie waren zutiefst erschrocken von sei-nem Bündnis mit dem mächtigen scheinbaren Todfeind seiner Politik.

Dass „Er“, der von der Vorsehung Auserwählte, dem Anschlag entkam, lag daran, dass er wegen schlech-ten Wetters mit der Bahn zurück in die Hauptstadt musste, nicht wie üblich mit dem Flugzeug. So ver-ließ er den Schauplatz seiner Rede um einiges früher als in den anderen Jahren, 13 Minuten bevor der Sprengsatz explodierte.

War es wichtig, was sie später über ihn sagen wür-den?
Die sowjetische Regierung, dieser plötzliche Bündnispartner, verurteilte den Anschlag und drückte dem deutschen Botschafter „ihr Bedauern und ihre Entrüstung über den ruchlosen Anschlag von München, ihre Freude über die glückliche Errettung des Reichskanzlers aus der Lebensgefahr und ihr Beileid für die Opfer des Attentats“ aus.
Chamberlain hatte nichts begriffen.
Was sie über ihn denken würden? Später, in der Schweiz. Aber er hatte keine Wahl. Die Wahl, die hat-ten die anderen einst gehabt. Jetzt schien es keine mehr zu geben. Für sie nicht. Und für ihn nicht. Nur dass dies für ihn das genaue Gegenteil bedeutete denn für sie.

Johann Georg Elser wurde am 9. April 1945 in Dach-au, wo er als „Sonderhäftling des Führers“ unter dem Decknamen Eller gefangen gehalten wurde, er-mordet, weil er am 8. November 1939 ein Attentat verübt hatte auf den Deutschen Reichskanzler und Deutschen Reichspräsidenten Adolf H., dessen Politik für verbrecherisch zu halten er gewagt hatte.

Bis 1945 wurde er am Leben gelassen, weil er für einen großen Schauprozess bereitgehalten wurde, nach dem Endsieg.
Im Frühjahr 1945 jedoch hatte sich die Anzahl derer, die an den Endsieg glaubten, dramatisch verringert.
Die Zahl derer, die die Politik des Deutschen Reichskanzlers für verbrecherisch hielten, würde nach dem 8. Mai 1945 ebenso dramatisch ansteigen.

Noch in der Bundesrepublik wurde Georg Elser mehrheitlich totgeschwiegen oder verleumdet, er, der durch sein Handeln bewies, dass nicht alle nichts gewusst haben können, wenn ein Schreinergeselle, der als Hilfsarbeiter in einer Fabrik tätig war, in der schwäbischen Provinz, in der die Nachrichtenlage bestimmt nicht besser war als in den größeren Städten, etwas wusste.
Er, der als Einzelner handelte, ohne eine Organisation hinter sich zu wissen, wie es ihm lange nachgesagt wurde, als ob sich dadurch Wesentliches geändert haben würde; ohne sich zu sagen, dass man ja ohnehin nichts tun könne.
Noch 1998 wurde ihm von prominenter Seite die moralische Berechtigung für sein Tun abgesprochen, da er das Leben der Bedienungen gefährdet habe.
Diese Aussage, die angesichts von 50 Millionen Toten des Krieges schon zweifelhaft erscheinen mag, ge-schieht auch noch wider das bessere Wissen, dass zum Jahrestag des Putschs niemals Bedienstete der Gaststätte in der Nähe waren, sondern der Führer der Bewegung nur von „Alten Kämpfern“, ausgesuchten altbewährten Parteigenossen der sogenann-ten Kampfzeit in der Republik, bedient wurde, was bereits zur Zeit des Attentats wohlbekannt war.

Die Offiziere des 20. Juli wiederum, die zu dem Zeitpunkt des Elser-Attentats in großer Mehrzahl noch gläubig mitmarschiert waren, noch sich in ihren pol-nischen Erfolgen gesonnt hatten, gelten der heutigen Geschichtsschreibung als Helden des Widerstands.

Den Nazis war er als Feind wichtig gewesen.
Der Demokratie war er das, schien es fast, auch.
Er, der wie vielleicht kein anderer nahe daran war, die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts aufzuhalten.