Unsere Autorin, Lisette van Vlijmen, zu einem Kurzbesuch in Deutschland - Jugendliche treffen auf eine der Überlebenden aus Theresienstadt

Unsere Autorin, Lisette van Vlijmen, zu einem Kurzbesuch in Deutschland


Ein paar Tage vor Anne Franks 90. Geburtstag ist Lisette van Vlijmen zu einem Kurzbesuch in Deutschland. Falkensee, 45000 Einwohner, ein kleiner Ort bei Berlin: Die Arbeitsgruppe
‚Stolpersteine‘ hat Lisette van Vlijmen eingeladen ins ‚Haus am Anger‘. 3 Tage vor Pfingsten - die erste Hitzewelle hat auch Falkensee erreicht - wer will da kommen? Die Veranstalter zweifeln, wird die 81-jährige Zeitzeugin einen leeren Saal antreffen? Die Berichte über die Kommunalwahlen hatten die Veranstaltungshinweise aus der Lokalpresse verdrängt .
Wird Hans-Heinrich Hardt, der Schauspieler, der heute Abend aus dem ‚langen Brief für meine Kinder‘ vorlesen will, nur die Veranstalter und die Autorin als Zuhörer haben?
Es ist kurz vor 19 Uhr, der Saal hat sich langsam gefüllt - bis auf den letzten Platz. (60 Personen) Welch eine Überraschung und wie eindrucksvoll! Man würde eine Stecknadel fallen hören können, so konzentriert - trotz Hitze und offenen Fenstern  - lauschen die Zuhörer. Wenn eine Mutter an  ihre Kinder schreibt, über die Dinge, die sie nie zu erzählen wagte, die über vier Jahrzehnte in ihrem Inneren eingesperrt, aber immer intensiver nach ‚draußen‘ wollten, erzählt, sind nicht nur die erwachsenen Zuhörer/innen in Falkensee völlig gebannt, auch am nächsten Tag im ‚Veddel‘ die Jugendlichen der 10. Klasse einer Hamburger Schule, Einwandererkinder aus aller Welt.
Hier lesen die Schüler/innen vor und stellen zu ihren vorgelesenen Seiten Fragen an die Autorin,
z.B. ob Lisette Rachegedanken hat, möchte, dass alle bestraft werden, die ihr Böses getan haben? Da erfahren sie, dass sie nur an eins dachte, ‚ans Überleben“, ans wieder nach Hause kommen.


Lisette van Vlijmen ist in Begleitung ihrer Schwester, die erst nach dem Krieg geboren wurde, und Taco Slachter, dem holländischen Journalisten, der mit ihr in Israel über Jahre ihre Erinnerungen auf Tonband aufgenommen hat, gekommen. Im Gespräch beginnen die Zuhörer zu ahnen, welche Schwierigkeiten für die Autorin, das einstmals ‚verlorene Kind‘ zu überwinden waren, bis sie in der Lage war, diesen Brief zu schreiben. Ihre Schwester Eva erzählt, wie am Tisch im Elternhaus nach dem Krieg immer wieder über das unerträglich Unfassbare in der Vergangenheit gesprochen wurde und die Angst, das könnte alles wiederkommen, entschloss sie sich, nie Kinder haben zu wollen, damit sie nie so etwas Schlimmes mitmachen müssen wie ihre großen Geschwister - alle drei hatten in verschiedenen Verstecken überlebt, getrennt voneinander und von den Eltern - nur Lisette war durch Verrat in den Lagern gelandet. Wenn dann der Vater den Gästen der Familie auch noch erzählte: „Das ist Lisette, sie war im Lager“, ist Lisette wütend aus dem Zimmer gerannt: „Er soll aufhören, so etwas zu sagen!“
Zum Schluss der Veranstaltung übergeben die Jugendlichen Briefe an die Autorin:
„Through your book, I could imagine another point of view on the second world war and could also better understand the war. The way you wrote the book was just breathtaking. I was able to imagine all the moments you talked about. It must be very hard for you to write this book. You really left some emotions not even in the book even in my heart“, schreibt einer der Schüler. Ein anderer: „Ich bin absolut begeistert, wie stark Sie geblieben sind und das Buch geschrieben haben.“ Und noch eine Stimme: „Sie haben nicht nur Ihren Kinder Ihre ganze Geschichte mitgeteilt, sondern diese auch mit der jungen Generation geteilt. Durch Sie haben wir eine Vorstellung bekommen, wie es den Unterdrückten und Inhaftierten der damaligen Zeit erging.“

„Das Buch hat mich echt gefangen und ich kann alles aus der Zeit besser verstehen. Ich fand es auch echt schön zu wissen, wie Ihre Kinder ihr Leben weiter geführt haben.“

Niemand im Raum kann dem Berührtsein entgehen, wenn Lisette zum Schluss jeden Einzelnen umarmt, hier die 81-Jährige und da die 15- und 16-Jährigen, allen gemeinsam, viel zu früh erfahren haben zu müssen, dass selbst zum Lebensbeginn die so dringend notwendige Sicherheit nicht selbstverständlich ist.

Dr.phil. Irmgard Dettbarn