VALENTIN SCHUSTER, WIEN, ÖSTERREICH
Habt ihr mich verstanden?

Hallo! Mein Name ist Valentin und ich bin 24 Jahre alt. Seit rund sechs Jahren bin ich Amateurschauspieler. Ja, genau, ich bin Schauspieler und als solcher stehe ich heute hier und spiele einen Monolog. Einen Monolog, den ich selbst geschrieben habe. Jetzt meine Frage: Habt ihr mich verstanden? Habt ihr mich verstanden?! Ich glaube nicht, daher meine Frage: Warum fragt ihr nicht nach? Ist es, weil ihr mich nicht verletzen wollt, oder denkt ihr etwa, ich wäre nicht nur körperlich, sondern auch geistig eingeschränkt? Mit diesem Vorurteil bin ich täglich konfrontiert, und wisst ihr was? Ich habe genug davon! Ich will nicht mehr als „dumm“ wahrgenommen werden. Ich möchte, dass mir Menschen mit einem mir gebührenden Respekt gegenübertreten, egal, ob sie mich kennen oder nicht. Und dieser Respekt äußert sich nicht darin, höflich zu nicken, auch wenn ihr mich nicht verstanden habt. Ich kann euch nicht versprechen, dass ihr beim zweiten oder dritten Mal versteht, was ich euch sagen möchte, aber man findet immer eine Möglichkeit zu kommunizieren. Und wenn es ist, dass jemand meine „Sprache“ übersetzt.
Wenn ihr aber nicht nachfragt, gebt ihr mir das Gefühl, Angst davor haben zu müssen, mit euch in Kontakt zu treten. Angst haben zu müssen, den Mund aufzumachen. Angst davor, nicht verstanden werden zu können. Diese Angst lähmt mich. Es ist, wie wenn sich mein ganzer Körper anspannt und alles auf einmal steif wie ein Brett wird. Mein Hals schnürt sich zu und ich habe das Gefühl, ich bekäme keine Luft mehr. Dieser Umstand hat mich mittlerweile dazu gebracht, dass ich mich nicht mehr traue, vor fremden Menschen zu sprechen, weil die Reaktion immer dieselbe ist: Betretenes Schweigen oder zu-stimmendes Nicken, obwohl ihr kein Wort verstanden habt. Aber als Schauspieler will ich genau das tun: Vor fremden Menschen sprechen, vor einem Publikum. Der einzige Weg, den ich bisher gefunden habe, um mich beziehungsweise meinen Kopf auszutricksen, ist Alkohol. Doch das ist keine Lösung. Ein permanenter Alkoholpegel ist KEINE Lösung. Trotzdem gibt mir Alkohol Freiheit, die Freiheit, mich unmissverständlich auszudrücken.
Ich selbst arbeite beinahe jeden Tag an meiner Stimme, um als gesellschaftlich vollwertiges Individuum toleriert bezie-hungsweise akzeptiert zu werden. Doch immer mehr stelle ich mir die Frage, ist das meine Aufgabe? Sollte sich mein Umfeld nicht einfach die Zeit nehmen und mir richtig zuhören? Und jede/r, der/die mir heute Abend erzählt, er/sie war so berührt von dem, was ich heute gesagt habe. Er/Sie wird in Zukunft besser zuhören. Ich glaube euch kein Wort. Schon wenn ihr heute Abend dieses Theater verlasst, werdet ihr in gewohntem Tempo durch die Welt gehen und Menschen wie mich in eure vorgefertigten Schubladen stecken. Kann ich es euch übel nehmen? Nein! Wir werden in eine Welt gedrängt, in der alles schnell und effizient sein muss. Tut es mir weh? Ja! Weil ich weder schnell noch effizient bin.
Und für all jene, die jetzt der Meinung sind, sie haben tolle Ratschläge für mich oder sie wissen genau, wie ich meine Stimme verstärken kann, ihr habt nichts verstanden! Ihr habt keine Ahnung, wie es ist, in meiner Haut zu stecken. Wie viel man trotz harter Arbeit nicht beeinflussen kann. Also bitte überlegt euch zweimal, ob ihr in der Position seid, mir Ratschläge zu geben. Ich traue mich zu sagen, niemand von euch würde es auch nur eine Woche aushalten, mein Leben zu leben, würde es aushalten, dass es euch ständig den Hals so zuschnürt wie mir. Ihr habt nämlich alle keine Ahnung, wie sehr soziale Isolation wehtut. Immer der Ausgeschlossene zu sein, nie nennenswert an einer Diskussion teilhaben zu kön-nen, obwohl ich genug zu sagen hätte. Wenn ich es nur sagen könnte. Es tut weh, nur von einer kleinen Personengruppe nicht ausgegrenzt zu werden. Es sind täglich zugeführte Verletzungen, die ich hinter meinem strahlenden Gemüt verste-.
Mein Name ist Valentin und ich bin 24 Jahre alt. Ich habe eine Sprachbehinderung. Und ich bin Schauspieler.