Von Fluchten und Wiederfluchten in Österreich unterwegs - Ein Nachbericht

Auch in Wien ist die Anthologie Von Fluchten und Wiederfluchten angekommen. Der Beleg: zwei Veranstaltungen am 23. und 24. Mai 2018 im Ammerlinghaus, dem zentralen Treff der Wiener freien Szene, und die waren richtig gut. Organisiert hatte sie Peter Schaden, der Obmann des FZA Vereins für Kunst, Kultur und Wissenschaft, der auch den Wiener Werkstattpreis vergibt. Sein Ziel war es zum einen, die Anthologie in Wien bekannt zu machen, und zum anderen, die neue Ausgabe der von ihm herausgegebenen Zeitschrift FLUCH`T`RAUM vorzustellen. Ihr Titel: Fremdsein.

Es waren zwei rundherum gelungene Veranstaltungen. Olga Maral, Monika Vasik, Marianne Mairhofer und Lena Violetta Leitner, allesamt aus Wien, zeichneten mit ihren Anthologie-Texten ein ausgesprochen vielfältiges Bild von dem, was für sie Fluchten ausmachen. Olga Maral schilderte in Es war ein langes Jahr sehr konkret eine Flucht aus der russischen Föderation nach Wien, während Monika Vasik in ihren Gedichten chancenglück, wimmelnde bürden und was bleibt vor allem das in den Blick rückte, was bei einer Flucht mit den Fliehenden passiert. Monika Mairhofer wiederum stellte in ihrer Erzählung Batschem. Sohn vor, wie ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtlingsjunge aus Afghanistan in Westeuropa ankommt und von einer Familie aufgenommen wird. So viele Stolpersteine, von denen sie erzählte, aber auch so viel Freude, wenn ein Schritt gelingt. Ganz anders dagegen war Lena Violetta Leitners Protokoll, in dem sie schildert, was Flüchtlinge 2015 an der österreichischen Grenze erlebten. Unterlegt hatte sie ihren Text mit Geräuschen, Tönen und Sprachfetzen, die sie zusammen mit ihrer Partnerin Steffi Neuhaus im Kollektiv OutSight damals auf der Balkanroute gesammelt hatte. Eine Performance, die es in sich hatte! Für die Zeitschrift FLUCH`T`RAUM lasen Martina und Klaus Sinowatz sowie Klaus Haberl. Sie präsentierten eigene Facetten von Fluchten und dem Umgang mit ihnen.

Einen weiteren Höhepunkt setzte dann Klaus Hofstätter von dem Verein connecting people, der seit 2001 in Österreich Patenschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vermittelt. Der Grundgedanke dieser Arbeit: Jeden Menschen, der alles zurücklassen musste, stärkt es, wenn er jemanden hat, der ihn bei seiner Ankunft wohlwollend begleitet und unterstützt. Klaus Hofstätter berichtete vor allem über die derzeitige prekäre Situation junger afghanischer Flüchtlinge in Österreich und präsentierte dabei einige Argumentationsstücke aus negativen Asylbescheiden, die das österreichische Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA) in erster Instanz getroffen hat. Was man da ausschnittweise zu hören bekam, war haarsträubend. Da wurde beispielsweise einem Schüler, der gerade volljährig geworden war, unterstellt, er sei verheiratet, habe sechs Kinder und mehrjährige Berufserfahrung. Einem anderen, der inzwischen Christ geworden war, wurde zugemutet, er könne ja seinen Glauben in Afghanistan auch im Geheimen ausüben, er müsse da nichts befürchten. Da war in einem Fall ganz offenkundig schlampig mit den Textbausteinen gearbeitet worden, im anderen Fall war es ganz offensichtlich ein Rechtsbruch. Darf man so mit Menschen umgehen, die in ihrer Existenz bedroht sind? Die alles aufgegeben haben und auf Hilfe angewiesen sind? Sind die Entscheider überfordert oder steckt dahinter Kalkül? Wer kontrolliert die Behörde? Fragen über Fragen. Ein Problem, das wir ja in Deutschland auch sehr gut kennen!

Der Blick auf vergangene und gegenwärtige Fluchten an den beiden Abenden zeigte, wie wichtig es ist, sich sehr konkret für Menschlichkeit einzusetzen, für das, was unsere demokratische Gesellschaft im Kern zusammenhält. Amnesty International begleitete die beiden Veranstaltungen mit einem Info-Tisch.

 

Im Mai 2018

 

Artur Nickel