Von Fluchten und Wiederfluchten. Ausschreibung zum Anthologie-Projekt vom Kulturzentrum Grend in Essen und vom Geest-Verlag in Vechta

Von Fluchten und Wiederfluchten
Ein Anthologie-Projekt vom Kulturzentrum Grend in Essen und vom Geest-Verlag in Vechta, Herausgeber: Artur Nickel
Um was geht es?
Unsere Zeit ist geprägt von Fluchten und Wiederfluchten. Fast 65 Millionen Menschen, so die UNO, sind in diesem Jahr auf der Flucht. Die einen sind in der Region unterwegs, in der sie leben, die anderen woanders in der Welt, weil sie ihr Heimatland verlassen mussten. Die einen werden verfolgt oder haben Angst um Leib und Leben, weil in ihrem Land Krieg herrscht. Die anderen werden zu Hause nicht mehr geduldet und vertrieben. Die Fluchtgründe sind vielfältig. Und immer wieder steckt dahinter großes Leid, ja, eine zerstörte Existenz. Denn wer verlässt schon freiwillig sein Zuhause?
Auch zu uns nach Deutschland kommen viele Flüchtlinge, um sich eine neue Bleibe zu suchen. Vorübergehend oder für immer. Je nach dem. Das ist das, was wir derzeit erleben. Es betrifft uns also direkt, wenn es um Flucht und Widerflucht geht! Wir haben hautnah damit zu tun.
Klar ist auch: das Phänomen Flucht ist für uns in Deutschland nicht neu. Schon während des Dritten Reiches und im Zweiten Weltkrieg hat es Fluchten gegeben. Aber auch danach. Man denke nur an die Vertreibungen direkt nach 1945, an die Fluchtversuche bis 1989 aus der DDR oder die Absetzbewegungen nach den Aufständen 1956 beziehungsweise 1968 aus Ungarn und der Tschechoslowakei. Manchmal waren es Fluchten, manchmal sogar Wiederfluchten.
Die neue Anthologie möchte das aufgreifen und thematisieren. Sie möchte Geschichten sammeln über die Fluchten gestern und heute und die Erfahrungen, die dabei gesammelt wurden, dokumentieren. Sie möchte sie nebeneinanderstellen und Vergleichsmöglichkeiten schaffen, die sonst so nicht gegeben sind. Die Einsichten, die dabei zu erwarten sind, dürften sicherlich interessant sein.
Und so laden wir Sie ein, für diese neue Anthologie zu schreiben und sich einzubringen. Mit selbst Erlebtem. Mit dem, was Ihnen erzählt wurde. Mit dem, was Sie sich vorstellen. Es gibt viele Zugänge zum Thema. Egal, woher Sie kommen und wo Sie leben! Egal, ob Sie selbst irgendwann einmal geflohen sind oder aus einer anderen Perspektive heraus davon berichten!
Um was geht es genau? Schon Äneas, Abraham, Jesus und Mohammed waren bekanntlich Flüchtlinge. Aber auch viele Schriftsteller mussten irgendwann einmal in ihrem Leben fliehen. Zu ihnen gehören, um nur einige zu nennen, Ovid, Dante Aligheri, Friedrich Schiller, Victor Hugo, Heinrich Heine, Georg Büchner, Isaac Bashevis Singer, Pablo Neruda, Thomas Mann, Bertolt Brecht, Hilde Domin, Yasar Kemal und Joseph Brodsky. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Thema Flucht von der Antike bis heute immer wieder aufgegriffen und literarisch bearbeitet worden ist. Man denke etwa an die „Medea“ von Euripides, „Deutschland. Ein Wintermärchen“ von Heinrich Heine, die „Flüchtlingsgespräche“ von Bertolt Brecht, „Im Krebsgang“ von Günter Grass, „Landnahme“ von Christoph Hein, „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek oder zuletzt den Roman „Ohrfeige“ von Abbas Khider. Es gibt viele Beispiele: Fluchten und Wiederfluchten sind bis heute ein zentrales Thema der Literatur.
Und nun? Die Gründe, warum Menschen fliehen müssen, sind bekanntlich vielfältig. Dem einen droht Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen, dem anderen, weil er einer Minderheit angehört, oder einfach nur, weil er anders oder homosexuell ist. Und wieder andere sehen in ihrer angestammten Heimat für sich und ihre Familie keine wirtschaftliche oder soziale Perspektive.
Warum sind Sie geflohen? Was hat Sie zur Flucht getrieben? Was haben Sie erlebt? Vor der Flucht, unterwegs und danach? Welche Konsequenzen mussten Sie auf sich nehmen, um zu fliehen? Welche Folgen hatte es für Sie, wenn Sie scheiterten? Es geht ja, wenn es um Flucht und Wiederflucht geht, immer wieder um das ganz persönliche Schicksal!
Was ist mit Ihrem Fluchtweg? Was haben Sie erlebt? Die Fluchtwege haben es ja oft in sich. Sie sind abenteuerlich, voller Gefahren, manchmal geradezu dramatisch mit schwerwiegenden Folgen für einen selber oder die eigene Familie. Was haben Sie riskiert, um Ihre Heimat hinter sich zu lassen? Oder war alles ganz einfach?
Tja, und dann stellt sich die Frage, wie Sie nach Ihrer Flucht aufgenommen wurden! Sie kommen dort an, wo Sie Sicherheit suchen, wo sie eine neue Bleibe zu finden hoffen. Auch hier läuft sicherlich nicht alles reibungslos. Es ist eine Herzklopfsituation. Wie wurden Sie aufgenommen? Wie ging man mit Ihnen um? Haben Sie eine neue Chance bekommen? Oder schlug Ihnen auch hier Ablehnung und Hass entgegen? Oft genug treffen in solchen Situationen ja die unterschiedlichsten Kulturen und Erfahrungshorizonte aufeinander. Das ist nicht einfach.
Und jetzt? Jetzt schweift Ihr Blick zurück. Was ist mit Ihnen passiert? Wie hat Sie die Flucht verändert? Wie sehen Sie jetzt Ihre alte Heimat? Ihre neue? Und es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen das hat auf Sie, Ihre Identität und Ihr neues Leben!
Nicht zu unterschätzen ist dann aber auch noch eine andere Form von Flucht, die der inneren Emigration. Von ihr ist zu sprechen, wenn sich Menschen angesichts des Drucks, der auf sie ausgeübt wird, zurückziehen und verstummen. Auch das ist unter Umständen eine Flucht, oft genug mit dramatischen Folgen für die Beteiligten. Gehören Sie zu diesen Menschen? Dann sollten Sie sich genauso angesprochen fühlen!
Bitte, schreiben Sie! Bringen Sie sich ein! Wir sind gespannt auf Ihre Beiträge! Es geht um Flucht und Wiederflucht.
Teilnehmen kann jeder, dem dieses Thema am Herzen liegt, Mindestalter 16 Jahre. Egal, wo er herkommt und wo er geboren wurde oder wo er wohnt! Auch Menschen, die noch keinen eigenen Text veröffentlicht haben, sind willkommen. Die Wahl der Gattung (Prosa, Lyrik, Dramatik, aber auch Tagebucheinträge, Essay und so weiter) ist frei. Eingereicht werden darf pro Autor/in: ein Prosabeitrag (bis zu 10 Normseiten (30 Zeilen jeweils bis zu 60 Anschlägen) oder bis zu 4 Gedichte, die noch nicht publiziert worden sind. Bitte eine Kurzbiografie beilegen! Veröffentlicht werden die interessantesten Texte in einem Buch, das voraussichtlich im Frühjahr 2017 erscheinen wird.
Informationen im Internet: Infos zu dem Projekt gibt es im Internet unter www.grend.de, www.geest-verlag.de und www.arturnickel.de.
Abgabedatum: Die Texte müssen bis zum 31.01.2017 beim Kulturzentrum Grend oder per Mail (arturnickel@web.de) abgegeben werden.
Buchpremiere: Alle Autorinnen und Autoren, deren Texte in den Anthologie-Band aufgenommen werden, werden darüber benachrichtigt (bitte möglichst die Mail-Adresse angeben). Sie erhalten ein kostenloses Autorenexemplar. Geplant ist, die Anthologie bei Erscheinen im April 2017 in einem angemessenen Rahmen der Öffentlichkeit vorzustellen.