Zeitschrift 'Begegnung' rezensiert ausführlich Artur Nickels 'brückenspiele'

Die Zeitschrift Begegnung, die von der Gesellschaft der Lyrikfreunde herausgegeben wird, rezensiert im April 2009 die brückenspiele
(Jg. 29, Innsbruck Nr.140)

Artur Nickel
BRÜCKENSPIELE
Geest- Verlag 2008
ISBN 978-3-86685-129-0
11,00 Euro

Der Gewinner des Leserpreises 2007 Artur Nickel hat sich bekanntlich als Herausgeber der Essener Anthologien und als Gründer verschiedener päda¬gogischer Projekte einen Namen gemacht. Eine der Anthologien "Dann kam ein neuer Morgen" wurde bereits in dieser Zeitschrift vorgestellt. Nickel ist aber nicht nur ein Lehrer ganz besonderer Art, sondern auch ein Dichter, der die Probleme unserer Zeit lyrisch aufgreift und verarbeitet. Und das im doppeltem Sinn, denn auf der einen Seite baut er Brücken, um die Realität mit der Poesie zu verbinden, auf der anderen erinnert er, dass Brücken einstürzen und Menschen unter sich begraben können.

abschiebung

tot ist nicht tot genug
um vergessen zu können
zu staub gewordenes
klagt an auf dem weg
in die ferne
handschellen
halten nicht auf
rauch liegt in der luft bleiern immer noch
kreuzt er unsere wege
der fährmann hat beim zählen
einige fahrgäste
nicht finden können

Nickels BRÜCKENSPIELE sind in sieben Kapitel gegliedert, die bewusst mit den ABSCHIEDEN beginnen und in den NACHTGEDANKEN enden und damit eine weitere Brücke bilden, die über Trümmer und Stolpersteine hinweg zum MISCHPULT führt.

am mischpult

ein kindergartentäschchen
 aus leder
gut gepflegt
ein kinderbuch
der nazis
wieder heiß geliebt
ein lehrer
in seiner klasse
ohne identität
ein nachtalb
am mischpult
meiner biographie

Der Autor versteht es zeitkritisch die gesellschaftlichen Strukturen der Ge¬ genwart unter seine lyrische Lupe zu nehmen, ohne dabei exemplarisch oder plakativ zu werden, doch seine Mahnung ist unüberhörbar: "es ist zeit/das ende zu setzen! damit endlich der anfang beginnt."

Nickel kann auch ganz andere, leisere Töne anschlagen, wenn er sich von den Problemen unserer Zeit abwendet, und zum Dichter wird, der wie jeder Mensch das Du sucht und braucht. Denn auch er will "mit dir zusammen lachen/und die nächsten schritte gehen". Das Suchen findet seine Vollendung in dem preisgekrönten Gedicht "spiegel im spiegel".

Überaus berührend in ihrer Bildhaftigkeit sind auch die Gedichte, die Nickel nicht als BRÜCKEN- sondern als NATURSPIELE versteht, in denen sich die menschliche Sehnsucht widerspiegelt. Wer möchte nicht so wie er "dem morgen/einen tropfen tau/abgewinnen". Doch auch in der Natur ist der Frieden verletzbar, die Möwe, die am Himmel kreist, wird zum Todesboten für den Fisch.

Die graphischen Bilder von Karin Flörsheim, farblich genau auf die Texte abgestimmt,
führen gemeinsam mit ihnen über alle Brücken, die Nickel baut und zu deren Betreten er den Leser einlädt.

Ein Sprachkünstler, der aufrüttelt, ein Dichter, der ergreift.

Christine Michelfeit