Klein, Katarina - Vom Glauben, Lieben und der Hoffnung - Nadja.
Katarina Klein - Vom Glauben, Lieben und der Hoffnung - Nadja .
Katarina Klein
Vom Glauben, Lieben
und der Hoffnung - Nadja
Geest-Verlag 2021
ISBN 978-3-86685-844-2
ca. 380 S., 14,00 Euro
Ein kleines Dorf in Sibirien, schneereiche und kalte Winter, die Sommer trocken und heiß. Der Hunger ist allgegenwärtig. Nadja, die Protagonistin dieses Romans, wächst unter diesen Bedingungen in den Nachkriegsjahren des 20. Jahrhunderts auf und lernt im Schutz ihrer großen Familie, den Alltag zwischen Härten und Pflichten, aber auch eingebunden in Liebe und Freundschaft zu leben.
Die Autorin Katarina Klein schreibt diesen Roman nach authentischen Erzählungen ihrer Großmutter, die ihr von den Erfahrungen und Erlebnissen während ihrer eigenen Kindheit und Jugendzeit in Russland berichtet hat. Der Roman zieht die LeserInnen tief hinein in das Lebensgefühl einer russischen Familie und Dorfgemeinschaft, hinterlässt durch die unbefangene und zugleich nach-denkliche Sichtweise der jungen Protagonistin und die Selbstverständlichkeit, mit der das Zusammenleben der Menschen dargestellt wird, ein Gefühl der Zufriedenheit, sogar manch ein Schmunzeln wird bei aller beschriebenen Härte des Lebens spürbar.
Prolog
Geboren bin ich in einem kleinen Dorf im kalten Sibirien, nahe der Grenze zu Kasachstan, ungefähr 200 Kilometer von der russischen Stadt Omsk entfernt. Ein bescheidenes kleines Dörfchen, von arbeitskräftiger Menschenhand erbaut, fern von jeglicher Zivilisation. Ein schönes Dörfchen, in welchem die Menschen stets ein Lächeln auf den Lippen hatten. Zumindest war es das, bevor die scheißdrecks Kommunisten kamen und es gewaltsam vom Antlitz dieser Erde rissen, denn keine Landkarte der Welt findet den kleinen Fleck, welcher einst meine Heimat war, wieder.
Dennoch gibt es nichts, woran ich mich besser oder lieber erinnere als dieses kleine, für die meisten unbedeutende Stück Erde.
Geboren bin ich 1939, so steht es auch in meinen Dokumenten. Doch da bin ich mir nicht so sicher. Gemeldet wurden unsere Geburten nämlich in der nächstgrößeren Stadt, und diese war eben nicht leicht zu erreichen. Sobald in unserem Dorf genug Kinder geboren worden waren, versammelten sich alle Väter und machten sich gemeinsam auf den Weg dorthin, um unsere Geburten registrieren zu lassen und die Urkunden abzuholen. Die Ochsen zogen den Wagen nur langsam, man brauchte Tage, bis man in der Stadt, Wochen, bis man wieder zurück war.
Auf diesem langen Weg philosophierten unsere Männer mit ihren Kameraden bei einem Gläschen Wodka gerne über den Sinn des Lebens und schmissen dabei stets ein paar Daten durcheinander. Nun steht auf meiner Geburtsurkunde, ich sei am zwanzigsten Mai 1939 geboren, aber daran glaube ich nicht mehr. Ich glaube nämlich, es sei viel später gewesen. 1941 oder 1942 vielleicht.
Abgesehen von meiner Heimat gibt es noch etwas, an das ich mich sehr gut erinnern kann. Das ist meine Kindheit. Diese war geprägt von eisiger Kälte und Hunger. Die Kälte meiner Kindheit spüre ich immer noch im Nacken und an das Hungergefühl habe ich mich schon gewöhnt, so sehr, dass ich es nicht mehr loswerde. Nicht einmal, wenn ich satt bin.
Unser Haus, klein und bescheiden, erbaut durch die Hand des Vaters meines Vaters, besaß einen großen Ofen, so groß, dass wir im tiefsten Winter alle Platz hatten, auf diesem zu schlafen.
Mein Vater hatte das große Glück, ein Traktorist und angesehener Landwirt zu sein, was ihn davor verschonte, zu Zeiten des Krieges an die Front geholt zu werden, wie sie es mit den meisten Männern des Dorfes taten. Kaum einer kam nach Ende des Krieges nach Hause zurück.
Mein Vater war verpflichtet zu arbeiten, die Saat zu säen, das Getreide zu ernten und ungefähr ein Drittel davon an den Staat abzugeben. Aufgrund der vielen Arbeit, die es zu erledigen galt, sahen wir ihn recht selten.
Meine Mutter erzog uns, sie war Bäckerin und im ganzen Dorfe für ihr leckeres Brot bekannt. Wenn ich so darüber nachdenke, muss ich sagen, dass es eigentlich nichts gab, was meine Eltern nicht konnten.
Die Erziehung meiner Mutter war genauso liebevoll wie streng. Jedes von uns Kindern hatte seine Aufgabe im Haushalt. Die Mädchen putzten, kochten, nähten. Die Jungs kümmerten sich um das Vieh und machten die Feldarbeit. Wurden die entsprechenden Aufgaben nicht rechtzeitig erledigt, gab es eine angemessene Strafe.
Eine richtige Schule gab es für uns nicht. Nach Ende des Krieges gab es nur einen Raum, in dem die Sitzreihen die jeweilige Klasse bestimmten. Vorne die erste, dahinter die zweite und ganz hinten die dritte Klasse.
Sibirien war kalt, ich glaube, niemand, der nicht selbst einmal dort gelebt hat, weiß, wie kalt und herzlos ein sibirischer Winter sein kann. Es schneite ununterbrochen und selbst die Vorräte im Keller und unter unseren Betten gefroren. Kartoffeln, Rüben, Gurken. Doch das störte uns nicht, wir aßen sie dennoch und sie schmeckten himmlisch süß.
Über dem Wasser, welches wir tagsüber aus dem Brunnen holten und über Nacht ins Wohnzimmer stellten, bildete sich bereits bis zum nächsten Morgen eine dicke Eisschicht. Um durch den Schnee zu kommen, welcher unsere Häuser bis zu den Dächern begrub, wurden lange Seile von Haus zu Haus gespannt, um sich an ihnen fortzubewegen und durch die Haufen durchzukämpfen. Das Schneeschippen war eine anstrengende und langwierige Arbeit, die sich in den tiefsten Wintermonaten nicht lohnte, da der Schnee innerhalb von ein paar Stunden erneut das Haus bis zum Dach begraben hatte.
Dagegen waren die Sommer trocken und heiß. Wir Kinder freuten uns schon, wenn die Morgenstrahlen der Sonne das Haus erwärmten und in einen golde-nen Farbton tauchten und wenn die leichte Sommerbrise den trockenen Staub der Straßen so aufwirbelte, dass wir ihn sammeln, mit Wasser mischen und kleine Figuren daraus kneten konnten.
Aber vielleicht kamen mir die Sommer auch nur so heiß und fröhlich vor, weil ich mich an die rücksichtslose Kälte des langen Winters gewöhnt hatte.
Wir hatten nichts, aber genau das war es wahrscheinlich, was uns zu so glücklichen Menschen machte, denn wer nichts hatte, konnte die Nächte ruhig schlafen, denn er hatte um nichts zu fürchten. Und obwohl wir nichts hatten, stets barfuß und in zerfetzten Lumpen bekleidet herumliefen, wünsche ich mir nichts lieber im Leben als meine Kindheit zurück.