09.07.2019 - aktueller Autor - Werner Lutz

Werner Lutz, Jahrgang 1954, Ende der Siebzigerjahre erste kulturelle Aktivitäten als Liedermacher. Zahlreiche Auftritte in der Friedens­bewegung, bei Streiks, Betriebsbesetzungen und Demos gegen Nazis. Seit 1993 Herausgeber des Deutschen Einheiz-Textdienstes, eines monatlich erscheinenden Satire-Rundbriefs mit Monologen, Dialogen, Aphorismen und Sachtexten zu aktuellen politischen The­men. Im Geest-Verlag erschien

Mojo liebte diese Farbe. Sie war so wie ihre Mütze, die ihr Spielgefährte Huruh immer aufhatte. Mojo wusste noch nicht, wie man hier in dem neuen Land diese Farbe nannte. Aber es war ihre Lieblingsfarbe, ebenso wie die Farbe des Mondes, den ihr die Mama abends oft gezeigt hatte vor ihrer Hütte. Und die Farbe der Mütze war genauso wie die Farbe des großen Wassers, auf dem sie und Mama viele Tage im Boot gefahren waren, eng aneinander geschlungen und hungrig.

Sie wusste nicht, wie lange sie auf diesem großen Wasser unterwegs gewesen waren, aber es kam ihr ewig lang vor und es war ihr schlecht gegangen. Sie hatte sich oft übergeben müssen, obwohl sie kaum etwas gegessen hatte. Immer wieder hatte sie brechen müssen, und sie hatte viel Angst gehabt.

Sie hatte auch oft weinen müssen, manchmal leise, manchmal laut, wenn sie es nicht mehr ausgehalten hatte, und ihre Mama hatte sie fest an sich gedrückt.

Mojo liebte viele Farben. Am meisten liebte sie die Farben, die ihre Mama an ihren Kleidern hatte oder an den Tüchern, die sie auf ihrem Kopf trug. Alle Farben, die ihre Mama trug, fand sie schön, manche von ihnen waren so golden wie der Mond, und manche Punkte von ihnen so wie das Gras vor ihrer Hütte, wenn es geregnet hatte.

Mojo liebte auch die Farbe des Eies, das sie schon die ganze Zeit in der Hand hielt und manchmal davon abbiss. Es war ein rotes Ei. Solche und andere Farben auf den Eiern, alles schön bunt, gab es hier fast jeden Tag beim Frühstück.

Mojo fühlte sich hier inzwischen wohl. Seit sie und ihre Mama über das große Wasser gekommen waren, hatten sie jeden Tag wieder etwas zu essen, und es gab hier aus vielen Hähnen Wasser, das ganz klar war und nicht modrig roch wie zu Hause.

Und Mojo hatte jeden Tag, seit sie hier war, viel zu gucken. Es gab viele Menschen hier, die mit ihr dreimal täglich in dem großen Zelt gemeinsam aßen. Und alle sahen anders aus. Die meisten waren nicht dunkelhäutig wie ihre Mama und sie und die beiden anderen schwarzen Frauen, die mit ihnen auf dem Boot waren damals.

Mojo stellte überhaupt fest, dass ihre Welt mit Men­schen vielfältiger geworden war. Es gab hellhäutige Menschen mit gelben Haaren, fast wie der Mond, oder mit roten Haaren wie das Auto von einem Beamten, das sie einmal gesehen hatte, als sie in der großen Stadt war vor langer Zeit. Und es gab hellbraune Menschen mit dunklen Haaren, und ganz viele Kinder, ebenso verschieden.

Mojo biss wieder vom Ei ab und dachte mit Sehnsucht an Huruh.