09.10.2019 - aktueller Autor - Jens Wohlkopf

 

Jens Wohlkopf wurde 1957 in Berlin  geboren. Ab 1961 wuchs er in Südbaden auf, wo er auch seine „Schulkarriere“ durchlitt. Danach vier Jahre Wehrdienst in Bayern und Studium an der „Fachhochschule des Bundes für öffent-liche Verwaltung“ in Mannheim und zeitglei-che praktische Ausbildung in Lörrach. Bis 2001 arbeitete der Autor als Bundesbeamter in Berlin, bis er aus gesundheitlichen Gründen aus dem Dienst ausscheiden musste. Seither lebt und schreibt er in Nordenham-Großensiel.

 

 

Wohlkopf, Jens - Federstilzchens Buch der neuen Kinder- und Hausmärchen

 

 

 

daraus den Auszug:

Frieden lieben – Wie „Haschisch“ Halef Omar nach Deutschland kam

„Haschisch“ Halef Omar bin Abdul Achwas ibn Demut al-Lahbah musste aus seiner kleinen, beschaulichen Heimat-stadt in Syrien flüchten, wo er bislang ein beschauliches Leben bei Wasserpfeife und süßem Tee verbracht hatte.
Halef, ein sesshaft gewordener Beduine aus der syrischen Wüste, betrieb früher in der Altstadt einen kleinen Ge-mischtwarenladen. Da gab es allerlei Krimskrams wie etwa Souvenirs für Touristen, aber auch Dinge des täglichen Bedarfs. Er bezog Eier und Gemüse von den Bauern des Um-lands, die er auf einem wackeligen Stand auf dem Trottoir vor dem Laden feilbot. Alles Bio! Klar, denn Geld für Kunst-dünger oder Spritzmittel hatten die kleinen Familienbetriebe nicht. Auch Kohlen und Feuerholz hatte er in einem Hin-terzimmer seines Ladenlokals gestapelt. In einem großen Kühlschrank mit Glastür bot er den Passanten kalte Getränke zum Mitnehmen an. Von einem Bäcker in der Nachbarschaft bezog er Fladenbrote und allerlei süßes Naschwerk, die er an Touristen wie Einheimische verkaufte. Auch die Schulkinder, die auf ihrem Schulweg an seinem Lädchen vorübergehen mussten, deckten sich bei ihm gerne mit Süßigkeiten ein.
Er hatte eine nette Familie, Frau Hanneh und zwei Kinder, Kara und Fatima. Es ging ihnen gut.
Halef war es zufrieden.
Wenn man sich aus der Politik heraus und mit seiner Mei-nung hinter dem Berge hielt, ließ es sich in Syrien gut leben. Der Mufti war ein Grufti und der Präsident weit weg. Batschkapp-altes-Aas-dat hieß der Präsident im fernen Damaskus und er regierte schon seit Jahrzehnten, erst als Va-ter, nun als Sohn. Eigentlich war alles geblieben wie früher unter den Kalifen und Königen. Eigentlich.
Aber es gärte im Land. Die Jugend war unzufrieden. Gere-gelte Armut war ihr nicht genug. Plötzlich wollten alle eine eigene Meinung haben, ohne zu wissen, wozu das gut sein sollte. Halef wusste es auch nicht. Was nutzte eine eigene Meinung, wenn doch alles, was auf Erden geschah, nur dann und nur deshalb und eben gerade so geschah, weil es Gott so gefiel?
Zerbrach ein Fensterglas in seinem Lädchen im Basar, so ersetzte er es nicht. Wenn es Gott gefiel, ein Glas zu zerbre-chen, wer war er, sich dem Willen Gottes zu widersetzen? Hinausschauen konnte er so oder so, ob nun mit Fensterglas oder ohne. Und ein wenig frische Luft konnte auch nicht schaden.
Wenn es denn Gottes Wille gewesen wäre, dass die Men-schen eine Meinung hätten haben sollen, so hätte er ihnen eine Meinung gegeben. Eine! Nicht jedem eine. Das konnte doch nicht gut gehen.
Ging es auch nicht!
Im fernen Nordafrika ging es zuerst los. Der Frühling sei dort ausgebrochen, hieß es. Was aber tatsächlich ausbrach, wa-ren Rebellion und Bürgerkrieg. In den glücklicheren Ländern tauschte man nur die Herrscher aus. Das klappte ohne gro-ßes Blutvergießen. Anderswo hatte man plötzlich drei Regierungen, was Gott so sicherlich nicht gewollt hatte, oder irgendwelche Spinner führten irgendwelche heiligen Kriege im Namen Gottes und in der irrigen Annahme, der hätte das so gewollt. Wie kamen sie nur darauf? Gott war doch gütig und verzeihend. Er saß auf seiner weißen Wolke, oben über dem Paradies, wie Halef vor seinem Laden, und spielte mit seiner Schöpfung wie sein Sohn mit seinen Spielsachen. Wozu soll-te es gut sein, seine eigenen Spielsachen kaputt zu machen? Sein Sohn jedenfalls weinte immer bitterlich, wenn ihm ei-nes seiner Spielzeuge zerbrach. Frieden hieß doch seine Re-ligion, also die Gottes und Halefs. Sie hatten eine gemein-same Religion. Das war praktisch, weil so Unfrieden von vornherein vermieden wurde. Gott hatte das Paradies, um darin zu leben, und die Erde, um damit zu spielen. Halef hatte sein Paradies in seinem Laden und mit seiner Familie und er spielte nie mit dem Gedanken, daran etwas zu än-dern.
Halef war mit sich und seinem Gott im Reinen!
Er liebte seinen Frieden.
Den Beinamen „Haschisch“ Halef verdankte er übrigens einer kleinen Schwäche, der er ab und an frönte. Morgens ein Joint und der Tag ist dein Freund! Meist gönnte er sich nur nachts ein Pfeifchen, wenn Gott und sein Prophet schliefen. Irgendwann musste ja jeder mal schlafen. Besonders im Fastenmonat half eine Prise Haschisch durch den Tag, ver-trieb Hunger- und Durstgefühl und machte ihn ausgeglichen, freundlich, glücklich – und friedlich!
Doch dann kam alles anders.
Eine Rebellion brach im Norden und Osten des Landes los.
Aufstände durchzogen das Land. Menschen, die lange Zeit friedlich mit- und nebeneinander gelebt hatten, wurden sich über Nacht zu Feinden. Der Mensch ist des Menschen Wolf heißt es und so war es tatsächlich. Selbst in „Haschisch“ Halefs kleinem, beschaulichen Städtchen standen sich die Menschen plötzlich feindlich gegenüber. Auf einmal spielte es eine Rolle, auf welche Weise man an Gott glaubte, wer die richtigen oder die falschen Propheten waren. Demonst-rationen zogen durch die Straße, in der Halef seinen Laden hatte, und strömten zum Marktplatz. Der Präsident sei ein Despot, hieß es da, und er müsste weg. Der sei ein Ungläubiger, der nicht in die Moschee ginge. Ein Hohepriester des säkularen Staates. Ein neuer, ein Gottesstaat müsste her. Welch ein Unfug! Ist denn nicht ein Staat, in dem die Men-schen friedlich miteinander leben, im Einklang mit Gottes Geboten, bereits ein Staat Gottes? Was sollte ein Gottes-staat anderes sein?
Aber es war nicht mehr auszuhalten!
So kam es, wie es kommen musste. Der Präsident schickte Truppen, um den vermeintlichen Aufruhr gegen seine Herr-schaft niederzuschlagen. Statt nun friedlich nachhause zu gehen, schafften es einige Revoluzzer, sich Waffen zu be-schaffen und damit die Regierungstruppen anzugreifen.
Der Frieden war vorbei!
Der Krieg hatte begonnen. Kugeln flogen hin und her, Rake-ten und Granaten schlugen in Häuserwände und durch Hausdächer. Feuer brachen aus. Menschen starben. Tränen flossen. Eine Sintflut von Tränen brach über das ganze Land herein.
Halef musste seinen Laden schließen. Schon bald gab es weder etwas zu verkaufen noch Käufer, die sich dem Be-schuss zum Trotze unter Lebensgefahr zu ihm in den Laden gewagt hätten, nur um eine Tüte Gummibärchen zu kaufen. Sein Verkaufsstand auf dem Bürgersteig war schon lange abgefackelt. Das Häuschen am Stadtrand, worin er mit sei-ner Familie wohnte, war als eines der ersten in Flammen aufgegangen. Gott sei Dank war niemandem etwas gesche-hen, weil seine Familie aus Angst vor den Soldaten bei ihm im Laden gewesen war, als das Feuer ausbrach. Hatten es die Regierungstruppen angezündet? Waren es die Rebellen gewesen? Das konnte niemand sagen.
Der Friede war fort! Der Krieg war da!  .... (Fortsetzung im Buch)