11. September 2017 - aktuelle Autorin - Kim-Vanessa Mathes

 

Kim-Vanessa Mathes

geboren 1990. Sie lebt mit ihren Eltern, ihrem jüngeren Bruder und dem Kater Muffin in der Pfalz. Kreativ zu sein, zu malen, zu schreiben oder Gitarre zu spielen, gehörte untrennbar zu ihr. Damit war erst einmal Schluss, als 2009 die Diagnose Hirntumor ihr geplantes Leben zerstörte. In ihrem Buch beschreibt sie das eine Jahr nach der Diagnose Hirntumor.

 

Veröffentlichungen im Geest-Verlag

 

Wie alles begann Mein Name ist Kim-Vanessa Mathes und ich bin 19 Jahre alt. Nicht sonderlich spektakulär, wäre da nicht der Hirntumor. Bis jetzt habe ich drei Operationen hinter mir. Im Kopf. Und das innerhalb von wenigen Monaten. Es war lebensbedrohlich. Und furchtbar für alle Beteiligten. Ich war in einer neurologischen Klinik am Bodensee und musste vieles neu erlernen, doch ich will von vorne anfangen, schließlich wissen Sie noch von nichts.
Ich besuchte Anfang 2009, mit 18 Jahren, die 13. Klasse eines Mädchengymnasiums in der Pfalz, und es waren gerade Weihnachtsferien. Da in Rheinland Pfalz die Schulzeit bis zum Abi nur 12,5 Jahre dauert, fing bei uns das schriftliche Abitur im Januar an. So wie ich die Ferien mag, habe ich erst einmal nichts gemacht für die Schule. Wer bitte tut groß etwas für die Schule, wenn Ferien sind? Gut, man nimmt sich immer etwas vor, schiebt es tausend Mal hinaus und dann steht das letzte Wochenende an und man hat doch nichts getan. Zwischendurch gab es Tage des ‚Intensiv-Learnings’, ansonsten habe ich gebastelt, ein Tausenderpuzzle gemacht, in einen Bilderrahmen gepackt, aufgehängt und dann noch mit Fotos eine große Collage geklebt. Also alles eigentlich unnötige Sachen, aber mir erschienen sie zu dem Zeitpunkt existentiell wichtig, was soll’s. Ich mag es einfach, kreativ zu sein. Genauso gern sehe ich alles ein bisschen sarkastisch. Ich selbst bezeichne es ja als ironisch, aber die anderen meinen, dass ich zu schadenfroh bin in manchen Fällen und daher sarkastisch besser hinkäme. Nur so viel: Das macht alles viel, viel witziger! Für mich, verständlicherweise.
In meiner freien Zeit war ich feiern, auf DVD-Abenden oder habe Volleyball gespielt. Ich weiß, wer sich nicht schon in den Sommerferien auf das Abi vorbereitet, ist verloren. Aber da ist ja schließlich auch noch der Freundeskreis, der gepflegt werden will. Und Freizeit-aktivitäten dürfen natürlich ebenso wenig vernachlässigt werden. Außerdem bin ich kein Streber (was nicht bedeutet, dass ich Strebsamkeit verachte), auch wenn meine Noten gut sind. Ich bin einfach nicht der Lerntyp, es fiel mir eher leicht, durchlesen reichte. Egal.
Meine Leistungskurse waren Deutsch, Französisch und Erdkunde, in diesen Fächern musste ich auch das schriftliche Abitur ablegen. Nach Silvester fingen die Kopfschmerzen an. Erst war es recht erträglich, und ich dachte, dass das wechselhafte Wetter daran schuld sei. Doch von Tag zu Tag wurde es schlimmer. Trotzdem veranstaltete ich mit zwei Mitschülerinnen einen Erdkunde-Lern¬tag und wir fassten wirklich etwas zusammen und lernten. Zudem hatte ich das Amt der Abi-Zeitungsredak¬teurin und somit viel Arbeit auf mich genommen, so war ich halt. Tage gingen für die Zeitung drauf, ich eignete mir alles an, meine beste Freundin und ich schrieben und zensierten viel, damit am Ende niemand beleidigt sein musste. Wir verfassten noch ein paar Artikel und Kritiken, die sich sehen lassen konnten. Anonym natürlich. Ein Zeitungstreffen veranstaltete ich auch bei mir, alles im Januar, kurz vor dem Abi. Die Sache mit dem Lernen erübrigte sich da ganz von selbst ...
Am 12.01.09 ging es dann los mit den Abiturprüfun-gen, für mich stand Deutsch auf dem Programm. Mein Papa fuhr mich hin, eine Decke und genug zu essen hatte ich dabei, und dann ging es los. Das Siegel wurde geöffnet. Was das für eine abartig wichtige Angelegenheit war, ganz offiziell und so. Ein Thema gefiel mir und ich schrieb sogar 20 Seiten in den sechs Stunden, was ein Rekord für mich war! Danach war ich total erschöpft, aber ich kannte das schon von etlichen Bewerbertagen im Herbst, die genauso anstrengend gewesen waren. Danach fühlte man sich so leer und müde, als hätte man alle Wörter aus sich herausgeschrieben. Aber letztendlich war das Abi nichts anderes als eine Kursarbeit, was mir die Angst vor den nächsten Prüfungen nahm. Ich hatte ja schon alles irgendwann einmal gehört und nicht völlig vergessen. Naja, das hoffte ich zumindest. Die Kopfschmerzen kamen und gingen, das war völlig normal bei dem Stress!
Am 16.01. folgte Abi Nummer zwei, Erdkunde. Auch hier wurde ein Siegel geöffnet und das eine Thema gefiel mir ganz gut. Wieder schrieb ich 20 Seiten über Burkina Faso und es folgte die totale Erschöpfung. Mittags legte ich mich hin, denn die Kopfschmerzen tauchten jetzt nahezu täglich auf und waren unaus-haltbar stark. Es war schwer, sich überhaupt noch zu konzentrieren, aber ich bekam es hin. Am 19.01. wartete die letzte Abiturprüfung, Französisch. Wider Erwarten lief es schlechter als sonst, aber durchaus noch
okay. Also ich ärgerte mich natürlich, allerdings war das Thema einfach so absurd, dass sich keiner darauf vorbereitet hatte. Landeskunde zu Québec, wer er-wartet denn so etwas! Das war an einem Montag, am Tag darauf war ein Augenarzttermin angesagt, wo ein Gesichtsfeld bestätigte, wie toll ich sehen konnte. Ich fragte mich genervt, wofür ich dann eine Brille brauchte, wenn es doch ‚ach-so-toll’ war. Mit dem Kopfweh ging es einigermaßen, ich glaube, ich hatte mich mittlerweile an den leicht stechenden Schmerz gewöhnt.
Ganz stolz plante ich den nächsten Abend, an dem wir feiern gehen wollten, schließlich hatten wir das Abitur gemacht! Den höchsten Bildungsabschluss! Alles war geplant, wie wir hin- und heimkommen würden, der Sekt war gekauft, … es konnte nichts schiefgehen. Eigentlich. Wäre ich nicht bereits morgens im Bad umgekippt mit Fieber, niedrigem Puls, Halsschmerzen, Gliederschmerzen, Kopfweh … Es ging sofort zum Hausarzt. Klar war, dass auf mich mit Grippe erst einmal das Bett warten würde und keine Party. Also stand ich widerwillig beim Arzt auf und legte mich zu Hause wieder nieder. Das konnte jetzt nicht wahr sein! Hallo? Man macht nur einmal sein Abi! Oh, ich hasste die dumme Grippe!