11.07.2019 - aktuelle Autorin - Karen Marin

Karen Marin ist zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in Eckernförde geboren. 1944 Umzug nach Gotenhafen, heute Gdynia/PL. Jetzt wohnhaft in Osnabrück. Sechs Jahre Mitglied der Schreibwerkstatt Klaus Th. Schnittger,  Osnabrück. Veröffentlichungen von Kurzgeschichten in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ und in Anthologien, zuletzt: „Osnabrück, Heimatstadt von Quakenbrück bis Kattenvenne“ (Geest-Verlag). Autorin des autobiograf. Romans „Lauf, Karen, lauf!“, erschienen im Husum-Verlag (Zeitzeugin Flucht im Jan. 1945 v. Gotenhafen über die Ostsee im Teilgeleit der „Gustloff“.

Mit ihrem neuen Buch 'Weißt du noch?' wird die Autorin das Osnabrück der 50er und 60er-Jahre und das Denken und Fühlen der Menschen aufleben lassen. Daraus einen kleinen Ausschnitt:

 

Erinnerungen an meinen Vater


Dort drüben - da steht noch sein Violoncello. Unberührt. Auffordernd wartet es in der Ecke des Herrenzimmers, bereit zum Spiel zwischen Vater und mir, der Sechsjährigen:
„Maikäfer flieg - mein Vater  i s t  im Krieg.“
Sanft schmiege ich meine heiße Wange an das glänzende Holz des Instruments, richte es auf. Erinnerungen an schöne gemeinsame Musikstunden werden wach. Denn wenn Vati nicht mehr zurückkehrt, gibt es keine Musik mehr.
Dieses Cello war sein Zauberinstrument. Mit ihm spielte er das aus, was er nicht sagen konnte. Er beherrschte Musik als Sprache. Ganz langsam wurde sie zu einem unsichtbaren Band, zu unserem gemeinsamen Sprachspiel, kleine, wendige Töne flogen wie Worte. Durch sie erreichten wir einander. So entdeckte ich früh, dass Gefühle wie Liebe, Angst, Trauer und Wut sich in Musik ausdrücken und verwandeln lassen und mich an Orte brachte, an die nur mein Vater mich bringen konnte. Er malte mir kunterbunte Bilder. Seine Fantasir und Vitalität schienen unerschöpflich.
Abwechselnd weich, innig und anrührend – wie eine zarte Liebeserklärung –, dann wieder kräftig volltönend entlockte Vati dem Instrument Laute. Das klangvolle Cello lachte und weinte, konnte jauchzen und traurig klingen. Scheinbar harmlos tändelnd wandelte Vati heitere, spritzige Klang-zaubereien in verhaltene, samtig-melancholisch anmutende Töne. Dunkle Momente unterstrich er mit drückender Schwere. ...