13. September 2017 - aktuelle Autorin - Barbe Maria Linke

 

Barbe Maria Linke

1944 in Köslin /Pommern geboren. Aufgewachsen in der DDR. Theologiestudium an der Humboldt-Universität Berlin. Oppositionelle Arbeit in der DDR. Mitbegründerin der Gruppe Frauen für Frieden. 1983 Ausreise nach Westberlin. Arbeit in der Klinikseelsorge und in der politischen Bildung.

 

Veröffentlichungen im Geest-Verlag

Linke, Barbe Maria - Wege, die wir gingen

Linke, Barbe Maria - Träum mich, Geliebte

 
Daraus einen Ausschnitt:
 

Schon von Weitem hat er ihre Tasche erkannt, die gestreifte Kosakenmütze liegt auf dem Klavierhocker. Kati ist zurück! Sie hat seine Tulpen entdeckt, den Strauß aufs Fensterbrett gestellt. Ob sie schläft? Ob ich zu ihr gehen kann? Er steht da wie einer, der das Abc neu lernen muss. Jetzt hört er sie telefonieren. Er atmet leicht, will an ihrer Tür vorbei in die Küche gehen. „He!“, ruft sie, „wo kommst du her, Moses?“ Sie winkt ihm, zeigt aufs Handy. Er wäscht sich die Hände, will das Essen kochen, das er für diesen Tag vorbe-reitet hat. Er wird ihr aber nicht erzählen, wie lange er damit gewartet hat. Nun ist sie da, und ihm ist, als wäre die Luft mit goldenen Blüten gespickt. Ich bin ja verrückt! Er weiß, wie sie den Blattsalat mag, mit gehackter Zitronenschale, einer Messerspitze Knoblauch, einem Teelöffel Senf, Balsamico und Olivenöl.
„Hm, wie gut es riecht! Was gibt es denn? Bratkartoffeln, das ist gut, die hab ich lange nicht gegessen. Wo hast du die Forellen her, bist du angeln gewesen? Machst du den Wein auf, oder soll ich das machen?“
„Ruh dich aus, ich ruf dich zum Essen!“
Kati staunt, wie entspannt er ist und wie er am Herd han-tiert. Sie gießt sich ein großes Glas Weißwein ein, geht in ihr Zimmer, soll er mich rufen, wenn er fertig ist. Nie hätte ich gedacht, dass ein Wüstenfürst mich bedienen wird. Rücklings wirft sie sich aufs Bett, du musst die Leute nur in Ruhe lassen, dann finden sie heraus, was gut für sie ist.
„Kommst du essen?“
„Woher weißt du, wie man Forellen brät?“
„Ist doch ganz einfach, ich hab in deinem Kochbuch nachgeguckt.“
Sie prosten sich zu, und Moses wartet darauf, dass sie zu berichten beginnt, wie es im Libanon war. Dann steht sie auf dem Balkon, zündet sich eine Zigarette an, zeigt auf den senkrecht stehenden Mond. Pafft in die Luft, während er darauf wartet, dass sie spricht. „Morgen“, sagt sie, „morgen ist ein neuer Tag.“

Sie haben die Stadt verlassen. Kati will ihm ihren Berg zei-gen. Der Zug fährt an Kühen und Ziegen vorbei. Kati isst ein Käsebrot, er trinkt Kaffee aus einem Becher. Dann treten sie auf den Gang. Und wie war deine Reise?, würde er jetzt gern fragen. „Sieh dir die Leute an, wie fleißig sie sind. Jemand bastelt immer an seinem Haus. Immer haben sie etwas zu tun. So ist es überall auf der Welt, auch im Libanon.“ Ihre Hand zeigt hinaus. Dann reckt sie sich, sagt laut: „Was ist den Menschen wichtig? Wofür setzen sie sich ein, weißt du das?“ Jemand zwängt sich an ihnen vorbei. Kati ist zur Seite getreten. Mit einem lang gezogenen Pfiff windet sich der Zug an Almwiesen und Fachwerkhäusern entlang. Sie faltet eine Zeitung auseinander, plötzlich dreht sie sich um und gibt Moses ein Zeichen. Langsam begreift er, dass er sich neben sie stellen soll. Sie hält ihm die Zeitung unter die Nase, fuchtelt damit herum. Irritiert schaut er sie an, hebt die Schultern. „Israel ist eine Herausforderung für seine Nachbarn. Immer wieder zettelt es Kriege an. Hier, lies das! Der reine Wahnsinn, den Libanon zu überfallen. Kannst du das verstehen, oder bist du nicht mehr der Prophet?“ Die Stimme klingt spitz und hart, dass ihn fröstelt und er sich ins Abteil zurückwünscht. „Steh nicht so da, als würdest du es nicht begreifen. Sie haben Beirut bombardiert, und weißt du warum? Zwei israelische Soldaten sollen im Libanon festgenommen worden sein. Israel will sie auf diese Weise freipressen.“ Mit zitternder Hand faltet sie die Zeitung zusammen. „Hoffentlich ist Hugo nichts zugestoßen oder dem Onkel!“ Tränen laufen über ihre Lippen. Sie drückt die Stirn gegen die Fensterscheibe, möchte Moses wegstoßen, hält in der Bewegung inne. Was tue ich da, was ist los mit mir? Dreh ich jetzt durch? „Komm!“ Sie versucht, seine Hand zu fassen, „setzen wir uns wieder hin.“ Er weiß nicht, was er sagen soll, wie er sie beruhigen kann. Ich liebe sie! Ich kann nicht zusehen, wenn sie leidet. Nur gut, dass Kati jetzt nicht im Libanon ist, ich würde vergehen vor Angst. Ob Hugo noch dageblieben ist, wo steckt der Kerl, den sie liebt? Moses macht seinen Rücken steif, will die Zeitung jetzt nicht lesen, die ihm Kati reicht, möchte nur neben ihr sitzen, mehr will er nicht. „Klar“, sagt sie und putzt sich die Nase, „gibt es auch in Israel Friedensgruppen. Ich kenne in Tel Aviv ganz phantastische Leute. Erst im vorigen Jahr habe ich mit ihnen gesprochen und ein Feature für den Rundfunk mit ihnen gemacht. Doch diese Regierung macht alles kaputt! Wieso sagst du nichts? Fällt dir nichts ein, he?“ Er rührt sich nicht, starrt auf die Tränen, die auf ihrem Pulli dunkle Flecken hinterlassen. Wie kann ich dich trösten, wie dir nahe sein? Er sieht, dass sie das nicht will, dass sie eine Antwort von ihm erwartet, die es nicht gibt. Nie gegeben hat, das weiß er auch. In den Tagen, als er allein war, hat er sich über die Lage im Nahen Osten informiert, hat ferngesehen und Zeitung gelesen. Aber was heißt das schon, Bescheid wissen? Wer durchschaut die Pläne der Regierenden, der Parteien? Er weiß nur, dass ihm das Kriegführen zuwider ist, und dass Josua der richtige Mann dafür war. Ob es jemals ohne Kriege gehen wird? Frieden. Schalom. Mein Gott, wo bist Du, und was ist mit uns Menschen los? Er ahnt, warum Er nicht eingreift. Er ist es auch leid, sich einzumischen. Aber Kati leidet, und er kann nichts dagegen tun. Das ist das Schlimmste für ihn, ratlos, hilflos, ohnmächtig ihrem Schmerz ausgeliefert zu sein. Er nimmt die Zeitung und geht aus dem Abteil. Was er dann liest, lässt die Halsschlagader schwellen, er spürt, wie das Herz hart gegen den Rippenbogen schlägt. Wenn er jetzt im Libanon das Sagen hätte, würde er eingreifen, nur wie? 
Kati hat sich neben ihn gestellt, sieht hinaus, plötzlich schiebt sie eine Hand unter sein Hemd. „Ach du“, sagt sie und sieht weiter geradeaus.