13.08.2019 - aktuelle Autorin - Karen Marin

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Eckernförde geboren. Anfang 1944 Umzug nach Go­ten­hafen bei Danzig/Westpr., heute Gdynia/ Polen. 1945 Flucht vor den Russischen Truppen im Teilgeleit der ‚Gustloff‘ zurück in die Geburtsstadt Eckernförde, jedoch in ein Behelfsheim. Jene Jahre beschreibt sie in ihrem Premierenroman „Lauf , Karen, lauf!“.
Seit 1947 wohnhaft in Osnabrück. 1958 Kauf-männische Lehre in Osnabrück mit Ausbildung zur Sekretärin BDS in Baden-Baden. Weitere Berufstätigkeit in Hamburg, Köln und Wedel/ Holstein. 1964 Rückzug nach Osnabrück. Heirat. Adoptionen zweier Kinder. 1989 Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie in Münster/Westf.
Seit 1999 sechs Jahre Schreibwerkstatt VHS, Osnabrück und Melle-Oldendorf. Zwischenzeitlich erschienen Kurzgeschichten in der NOZ; 2002 erste Veröffentlichungen in Anthologien, zuletzt „Osnabrück, Heimatstadt zwischen Quakenbrück  ...“ (Geest-Verlag)

In Kürze erscheint:

Karen Marin
Als die Wäsche in der Hase
noch ‚geklärt‘ wurde
Erlebtes, Empfundenes und Erdachtes
in und um Osnabrück
Geest-Verlag 2019

Heiß auf Eis
Osnabrück. Sommer 1951


Backofen-Hitze. Die beiden Freundinnen – beide zwölf – hatten nur einen Gedanken: EIS.
Eis – aber bitte nur von Opitz. Nach den Hungerjahren mit den vielen Entbehrungen ein erschwinglicher Luxus. Mit ihren neuen Petticoats unter den bunten Röckchen flanier-ten die beiden Mädchen Edith und Karen durch die Stadt. Vorbei an der Milchbar am Nicolaiort (über Foto Lichten-berg) mit ihrem Geheimtipp nach Ende der Schulstunden: „Reis Trauttmannsdorff“  mit Früchten für die Lehrer und der leckeren Schoko-Milch für die Schüler.
Heute aber zog es die beiden woanders hin: Im Schaufenster von Opitz‘ Eisdiele gegenüber Lengermann & Trieschmann drehte sich eine mannshohe Scheibe, spiralförmig bemalt in weiß-rot. Sie sollte Appetit machen auf den süßen Som-mergenuss, nachdem vor allem die Kinder lechzten. Schließlich gab es Eis nur im Sommer. Schon beim Anschauen der rotierenden Scheibe lief ihnen das Wasser im Mund zusammen. Doch heute wollten Edith und Karen sich nicht draußen mit einer Waffel begnügen, obwohl man sonst der Opitz-Spezialwaffel aus einer großen Metallbox, in die zunächst jeweils unten und oben eine große Waffel hineingesetzt und dazwischen das gewünschte Eis hineingege-ben wurde, nicht widerstehen konnte. Wenn Herr Opitz sen. dann das Eis höchstpersönlich von unten aus der Metallbox drückte, nahmen sie es gleich entgegen und genossen es. Heute aber wollten die beiden gemütlich zusammensitzen und schwatzen. Aber das war nicht alles. Noch etwas anderes zog sie in die Eisdiele: ER.
ER hatte dichtes, schwarzes Haar und glutvolle Augen, ein rassiger Jüngling, Schwarm vieler junger Mädchen dieses noch kleinen Städtchens: Peter Opitz, Sohn des Inhabers. Ein breitschultriger Typ mit einem Hauch Pomade im Haar wie Elvis the Pelvis – das Becken, dem man im Freibad eher auf dem Zehnmeter-Brett als am Beckenrand begegnete. Außerdem: – ER hatte ein Lächeln, das nicht nur Eis schmel-zen ließ.
Angenehm kühl war es in der Eisdiele. Aber bei Peters An-blick wurde es beiden sofort wieder heiß. Temperaturanstieg, seltsame Gefühle wie beim Beginn einer Grippe, Feuer und Eis zugleich. ‚Hätte ich doch nicht diese hässlichen Sommersprossen‘, dachte Karen. Dieser Schrecken aller Hellhäutigen. Aber nein – trotz Auftragens von ‚Frucht‘s Schwanenweiß-Bleichcreme‘ und Zitronensaft, der höllisch brannte, blieben sie einfach da, verstreuten sich auf ihrer Nase, dickfellig, vorwitzig und frech. Zwar sagte Edith immer: „Ein Gesicht ohne Sommersprossen ist wie ein Himmel ohne Sterne“, aber Karen hasste die kleinen Pünktchen.
In einem Metallständer auf dem Tisch steckte die Eiskarte: Hm, Vanilleeis mit Nougatcreme, Schwarzwald-Becher mit Kirscheis und Waffelstückchen. Die beiden bekamen große Augen, suchten sich dann ‚Mohrenköpfchen‘, bestehend aus Schokoladeneis mit Caramelsauce, Walnüssen und Schokoladenstreuseln sowie ‚Freche Früchtchen‘ = Vanilleeis mit Waldfruchtsoße, Beeren und Zartbitterschokolade aus. Si-cher ein wahrer Sinnenrausch.