14.05.2022 - aktueller Autor - Andreas Rüßbült

Rüßbült, Andreas

 



Andreas Rüßbült
1961 in Lemwerder, Kreis Weser­marsch geboren. Seit 1976 lebt er in Brake an der Unterweser, verheiratet und Vater von drei Kindern.
Sein Interesse gilt seit Jahren der deutschen Geschichte, insbesondere der NS-Zeit in seiner norddeutschen Heimat.
Ein weiteres Interessensgebiet ist die Geschichte der Lakota-Indianer Nordamerikas. Beiden historischen Themen gemeinsam ist der versuchte Genozid an einem Teil der Be­völkerung. Die Frage nach dem ‚Warum‘ steht dabei im Mittelpunkt nicht nur seines historischen Forschungsinteresses. Rüßbült betrachtet das historische Geschehen von unten, aus Sicht des ‚kleinen Mannes‘, ob Täter oder Opfer. Dies gibt seinen Erzählungen eine Nähe, die berührt, oft auch betroffen macht.

 
 
Andreas Rüßbülts schreibt eine fiktive Geschichte über einen Braker Fischersohn zur NS-Zeit

Eine Stimme für Gefangene ihrer Zeit

"Die Zeit des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus beginnt sich zu popularisieren" so die Einschätzung des Verlegers. Bester Beweis sei der kürzlich ausgestrahlte Dreiteiler im ZDF "Unsere Mütter, unsere Väter". Es gehe heute nicht mehr um Anklage, sondern um Aufarbeitung. Nachdem bereits eine betroffene Generation weitgehend gestorben sei, wachse in den nachfolgenden Generationen das Bedürfnis zu verstehen, was in der Zeit mit den Menschen geschehen sei.

Genau hier setzt die fiktive Geschichte des Heinrich Cohrs an: Sohn eines der zahlreichen Weserfischer im beschaulichen Brake, der gerade die Schulzeit beendet hat und mit 15 Jahren eine Lehre im Kolonialwarengeschäft Meyer beginnt. Die Welt scheint für Heinrich im Sommer 1931 ganz in Ordnung: Strand, das erste Bier, die ersten Mädchen und Freunde – das zählt. Erste Spannungen werden dadurch sichtbar, dass der Vater gern mal ein Feierabendbier in der Hafenklause trinkt und als bekennender Sozialdemokrat immer wieder mit dem Wirt aneinandergerät. Und Freund Sammy – eigentlich Samuel – hat jüdische Wurzeln, was erst Sticheleien von den sogenannten Braunhemden auslöst und dann auf dem Ovelgönner Pferdemarkt zur brutalen Schlägerei ausartet.

Die Buchvorstellung befasst sich mit dem heraufziehenden Weltkrieg. Auch Heinrich wird eingezogen, und findet sich Anfang der 1940er-Jahre gemeinsam mit vielen jungen Männern in den Weiten Russlands wieder. Was Heinrich hier erleben muss, übersteigt an Brutalität und Grausamkeit alles, was die jungen Menschen bisher kannten. Und da der Krieg im Osten weit weg von zu Hause stattfindet, geht die Bindung an Heimat, Familie und ein geordnetes Leben nach und nach verloren. Die fiktive Person Heinrich Cohrs hat noch Glück im Unglück: Ein Granatsplitter trifft ihn und macht ihn fast blind. Das bringt ihn über ein Lazarett in Berlin zurück in die Heimatstadt zu seiner Familie.

"Wie kommst du dazu, meine Geschichte aufzuschreiben", ist der Autor im Vorfeld der Buchveröffentlichung gefragt worden. Sicherlich ein Beweis für das behutsame Nachempfinden dessen, was die Kriegsgeneration durchleben musste. Später war es den Überlebenden nur bruchstückhaft möglich, über all das zu reden und es zu verarbeiten. Das Buch gewinnt damit nach Einschätzung von Autor und Verleger auch überregionale Bedeutung.

Denn was der Sohn eines Weserfischers durchlebt hat, könnte ebenso auch in der Familie eines Handwerkers in einer Kleinstadt in Hessen oder Sachsen passiert sein. Es sind nicht die großen Ereignisse, die hier niedergeschrieben sind, es geht um die kleinen Leute, denen Andreas Rüßbült in vierjähriger Arbeit eine Stimme gab.