17. August 2017 - aktuelle Autorin - Anne Koch-Gosejacob

 

Anne Koch-Gosejacob

 

1946 geb. in Bissendorf, wohnhaft in Osnabrück, Belletristikstudium an der Axel Andersson Akademie, Lyrik und Prosa, Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitungen, Mitglied der Schreibwerkstatt Oldendorf

 

 

Veröffentlichungen im Geest-Verlag

 

aus ihrer Krimisammlung 'Manchmal ist das Schicksal schneller'

ASCHERMITTWOCH

Als Oberstudienrat Doktor Conrad Bamberg am Ascher¬mittwoch noch sehr karnevalisiert und ziemlich betrun¬ken die neu erbaute Sparkasse seines Heimatortes Bissendorf betrat, dachte er, es wäre ein Karnevalsscherz, als ihm drohend ein schwarz maskierter Mann gegen¬überstand. Dieser packte ihn ziemlich ruppig am Kragen seines eleganten Wintermantels und zischte: „Auf den Boden! Flachlegen! Und keinen Mucks!“
Bamberg sträubte sich, bekam einen Hieb in den Magen, sackte wie ein nasser Mehlsack zu Boden und blieb wie betäubt auf den kalten Fliesen liegen. Erst nach und nach wurde ihm bewusst, dass dies wohl kein Karnevalsscherz war.

Vorsichtig hob er den Kopf und schielte zum Geld-schalter, der sich am anderen Ende der großen Halle befand.
Dort schob gerade ein zweiter schwarz maskierter Mann eilig bündelweise Banknoten und etliche Geldrollen in einen blauen Müllbeutel.
„Kopf runter! Aber sofort!“
Als Bamberg nicht sofort reagierte, stellte ihm die-ser brutale Mensch, der ihn auf die Erde gezwungen hatte, doch tatsächlich seinen Fuß in den Nacken. Schlagartig war Bamberg nüchtern, wagte nicht mehr, sich zu rühren, und lag da wie tot.
Dann ging alles sehr schnell. Bamberg hörte, wie die Bankräuber nach draußen rannten, erkannte am Mo¬torgeräusch, dass ein großer, schwerer Wagen gestartet wurde und mit quietschenden Reifen davonbrauste.
Bamberg wollte aufspringen, aber es ging nicht, in seinem Kopf drehte sich alles. Gleichzeitig rebellierte sein Magen und der ganze Inhalt der letzten Nacht kam im hohen Bogen heraus. Wie peinlich ...!
Sichtlich beschämt rappelte er sich hoch, sah direkt in die blauen Augen des immer noch vor Angst schlotternden jungen Kassierers, der ihm aufhelfen wollte, und murmelte: „Tut mir echt leid. Ich bitte tausendmal um Entschuldigung!“
Im selben Moment wurde die schwere Eingangstür der Sparkasse aufgerissen und mehrere bewaffnete Polizisten stürmten herein. Um ein Haar wäre der erste Beamte in dem Erbrochenem ausgerutscht.
„Was ist das denn für eine Sauerei!“, schrie er auf-gebracht, und weil sich der säuerliche Geruch in seine Nase fraß, zeigte er auf Bamberg und den Kassierer und befahl: „Sie beide, Sie kommen sofort mit!“
Im Laufschritt marschierte er zum Fenster, riss es weit auf und atmete tief durch. Dann holte er aus seiner dunkelblauen Uniformjacke ein schwarzes Notizbuch und einen Kugelschreiber hervor und wandte sich an die beiden. „Zuerst nehme ich Ihre Personalien auf, da¬nach berichten Sie mir ausführlich den genauen Ablauf des Überfalls. Wie viele Männer waren es? Wie sah ihre Kleidung aus? Und worin transportierten sie das Geld?“
Leider konnte Oberstudienrat Doktor Conrad Bamberg nicht viel zur Aufklärung beitragen. Er wusste nur, dass sich das Geld in einem blauen Müllbeutel be¬fand. Dass beide Männer eine dichte schwarze Strumpfmaske über den Kopf gezogen hatten und dass der eine von ihnen, der ihn zum Hinlegen gezwungen hatte, braune abgeschabte Springerstiefel trug. Deutlich fühlte er noch den Druck der dicken geriffelten Sohle im Nacken und schüttelte sich.
Nachdem der Beamte alles sorgfältig notiert hatte, reichte er Bamberg seine Karte und sagte: „Wenn Ihnen noch etwas dazu einfallen sollte, melden Sie sich umgehend bei mir.“
„In Ordnung. Kann ich jetzt gehen?“ Schuldbewusst ließ er seinen Blick durch die Halle schweifen, ließ die Karte in der Brusttasche seines eleganten, inzwischen aber etwas verdreckten Wintermantels verschwinden und verdrückte sich eilig nach draußen, ohne auf Antwort zu warten.
Weil ihm schon wieder übel wurde, suchte er nach einem Taschentuch, hielt es sich vorsichtshalber vor den Mund und brummelte stöhnend: „Nie wieder werde ich am Aschermittwoch eine Sparkasse betreten.“
Als er die Haustür seines Bungalows aufschloss, kam ihm seine achtzehnjährige Tochter entgegen und ver¬kündete: „Jens hat im Lotto gewonnen. Jetzt kannst du nicht mehr sagen, dass er nichts taugt und mich nur des Geldes wegen heiraten will. Aber vorher machen wir Urlaub in Venezuela.“ Stolz wedelte sie bei ihren Sätzen mit den Flugtickets.
Beim Aufhängen seines Mantels an der Garderobe fiel Conrad Bambergs Blick auf die daneben abgestellten derben braunen Springerstiefel. Seine Nackenhaare sträubten sich und mit belegter Stimme fragte er seine verliebte Tochter: „Gehören die vielleicht dem Jens?“