19. April 2017 - aktuelle Autorin - Barbe Maria Linke

 


Linke, Barbe Maria

im Geest-Verlag erschienen


 

 

Barbe Maria Linke

1944 in Köslin /Pommern geboren. Aufgewachsen in der DDR. Theologiestudium an der Humboldt-Universität Berlin. Oppositionelle Arbeit in der DDR. Mitbegründerin der Gruppe Frauen für Frieden. 1983 Ausreise nach Westberlin. Arbeit in der Klinikseelsorge und in der politischen Bildung. 

Moses – Ein Experiment
Erzählt wird in diesem Roman eine Geschichte von der Erfahrung menschlicher Grenzen und von der Umkehrung des Gesetzes in Liebe.
Moses, der Prophet, der sich mit seinem Volk in der Wüste Sin befindet, wird durch einen Traum aus der Bahn geschleudert. In einer anderen räumlichen und zeitlichen Dimension beginnt für ihn das Abenteuer. Im Flugzeug begegnet er Kati Blank, Redakteurin beim Schweizer Rundfunk, die ihn einlädt, bei ihr in Bern zu wohnen.
Moses rätselt: „Was hat Jahwe mit mir vor? Wer bin ich hier, in dieser Welt? Wer ist die Frau, die mich bei sich aufgenommen hat?“
Kati, eigenwillig und selbstbewusst, genießt die Aufmerksamkeit und die Gespräche mit Moses. Für sie ist er ein faszinierender Mann. Ob er Prophet war oder nicht, interessiert sie nicht. Als sie nach Deutschland aufbricht, um im Auftrag ihrer Redaktion die Stasivergangenheit ihres Vaters zu erforschen, trennen sich Moses und Kati.
In Berlin gerät Kati in eine Situation, die ihr fast das Leben kostet. Die Liebe zu Kati treibt Moses nach Berlin. Bei seinen Streifzügen durch die Metropole trifft er Simon, den Schmied. Die Freundschaft mit ihm und der Schmerz über seinen Tod verändern Moses. Doch die Suche nach Kati gibt er nicht auf.

 

Daraus einen kurzen Auszug:

Kati telefoniert, und er hat Muße, über sie nachzudenken. Inzwischen kennt er ihr dunkles, rollendes Lachen, auch das hohe, teuflisch klingende Hi-hi, das er überhaupt nicht mag. Es verunsichert ihn, er weiß dann nicht, ob sie über ihn lacht. Manchmal allerdings klingt ihr Lachen, als weine sie, ja, als weine und lache sie in einem. Als er es das erste Mal hörte - sie saß auf der Bettkante, das Handy lag auf dem Fußboden -, war es, als klemme ihm jemand die Herzschlagader ab. Und doch ist er nicht zu ihr gegangen, weil er sich vor solchem Weinen fürchtet. Ob sie sich nach Hugo sehnt, nach seinen Händen, dem glühenden Blick? Nein, er mag Hugo nicht. Er ist mein Rivale, Moses feixt, das ist er! 
Berlin steht auf meinem Kofferanhänger, was wird das für eine Stadt sein? Nein, sie interessiert mich nicht, die Millionenstadt, die Kati mir neulich auf einer Karte zeigte. Wer kann mich dahin schicken wollen? Hier möchte ich mit Kati leben. Kannst Du mir sagen, was ich in Berlin soll, mein Gott? Er kennt das, dass Jahwe nicht spricht, wenn er ihn dazu auffordert. Es scheint, als wäre Er heiter, ja humorvoll geworden. Würde auch Gott sich verändern wollen? Da ist ihm, als streiche ihm jemand übers Haar, als kitzle ihn eine Hand im Nacken.
Er zündet sich ein Zigarillo an, hängt die Füße über die Sessellehne. Mit Kati hat er über Jahwe gesprochen und war verblüfft, wie geschickt sie fragen kann. Aber so sind eben die Weiber!, hört er Ramses Stimme. Sie wollen eindringen unter unsere Haut. Nefertari ist da keine Ausnahme! Das wusste Moses längst. Sie hatte ihm immer wieder ihr Gottesbild erklärt. Es war anders, als er es aus Lehrbüchern kannte, ganz anders als das, was der Vorlesepriester den Prinzen zu vermitteln versuchte. „Auch du, Moses, bist ein Aspekt Gottes.“ Nefertari klopfte gegen seine Brust. „Nimm die Sonne, was wissen wir von ihr?“ Sie bewegte die Füße wie im Tanz, da fasste er sie um die Taille, schwang sie herum. Sie sah ihn streng an, drehte sich abrupt weg, ging kerzengerade davon. Später hatte sie ihm erklärt, dass er sie nie berühren darf. „Nimm dich in Zucht, Moses, du warst nahe dran!“
Tage danach setzten sie ihren Diskurs fort. „Gott steht für mich für das Gesetz, das ich einhalten muss“, hatte er stur erwidert, und trotzdem gierig ihren Ausführungen gelauscht. „Was willst du?“, hatte sie mit leiser Stimme gefragt. „Wieso machst du deinen Gott so klein, siehst du nicht, wie er schrumpft und wie er in dir weint? Lass ihn frei, er wartet darauf.“ Ihr plötzliches Lachen irritierte ihn noch mehr als ihre Worte. Als sich Nefertari wieder in der Gewalt hatte, murmelte sie: „Wer sagt denn, dass die Gottheit männlich ist?“ Ihr Körper wurde so geschüttelt, dass sie sich an ihn lehnen musste. Sie winkte eine Dienerin heran und verabschiedete sich. Bevor sie ging, lud sie ihn für den nächsten Tag zu einer Spazierfahrt ein.
Am Nilufer bestiegen sie einen zweirädrigen Wagen. Nefertari zeigte aufs Wasser, als sie sagte: „Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir die Gottheit erfassen und begreifen wollen, und auch müssen, so meinen wir jedenfalls, nicht wahr?“ „Ja!“, unterbrach Moses sie heftig, „sonst stehen wir doch mit leeren Händen da.“ Sie schwieg eine Zeit lang, bevor sie mit verhaltener Stimme sagte: „Demütig werden.“ Es war wie ein Windhauch, der seine Ohren streifte; erstaunt suchte er ihren Blick. Ich liebe sie wie ein Schüler seine Lehrerin. Irritiert über die Wucht seiner Gefühle stammelte er etwas, das sich wie eine Entschuldigung anhörte.