20.10.2018 - aktueller Autor - Olaf Bröcker



Olaf Bröcker
geboren 1970, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. 1989 Abitur, 1990-1997 Studium der Germanistik und Geschichte in Kiel. 1997 bis 1999 Referendariat in Wedel/Holstein. Seit 1999 Lehrer am Gymnasium Antonianum Vechta. Seit 2007 Leiter der Arbeitsgemeinschaft ‚Schreibwerkstatt‘, zahlreiche Veröffentlichungen als Autor und Herausgeber, in einer Vielzahl von Anthologien vertreten.

Olaf Bröcker beschreibt Menschen, die eine Strecke des Lebens gehen – dieselbe Strecke, aber nicht immer gemeinsam. Deswegen umfassen seine Texte oft mehrere Perspektiven und, wenn die Strecke etwas länger ist, auch einige Zeitsprünge. Für viele seiner Figu­ren wird das Leben auf dem Weg farblos, grau  – für einige für immer, bei anderen nur ... streckenweise.

 

aus seinem neuen Band: Gezeitenhorizonte

oben
nach einem Bild von R. Rakow

Der Mann hält den Blick gesenkt. Er läuft geradeaus, er weiß, wo sein Ziel ist, aber er blickt nach unten. Die blaue Straße blickt zurück, sie zieht sich, beschreibt Kurven und wohl auch Kreise, und der Mann läuft sie nach, und er blickt nicht hoch.
Da liegt ein Mensch, rechts unten, aber zu weit rechts, als dass er im Blick des Mannes wäre, der sich durch die Menge drängt, die herumsteht, das Licht zuckt blau, die drei Män-ner tragen Rot, es gibt dunkleres Rot, weiter unten. Der Mann geht weiter, und er blickt nicht hoch.
Links wird es hell, aber es ist weit links, und der Mann geht vorbei mit gesenkten Augen, er sieht nicht die Menschen, die das nackte Plastik bekleiden, andere legen roten und grünen Stoff in den Hintergrund. Der Mann kann hier schneller vorbeigehen, denn die Menschen fließen vorüber, und er stößt nichts an, der Mann geht weiter, und er blickt nicht hoch.
Vor ihm steht eine Mauer, geblättert grün, und als er den Durchgang passiert, sieht er zum ersten Mal hoch, und er sieht Blau und Gelb und in der Mitte noch viel mehr Gelb und er geht auf den gelben Fleck in der Mitte zu und küsst ihn.
„War was Besonderes?“, fragt sie müde und leert ihr Glas.
„Nein“, sagt er und blickt nach oben.
„Nein.“