21.05.2022 - aktueller Autor - Manfred Cibura

Manfred Cibura wurde 1959 im Rheinland geboren und ist dort aufgewachsen. Seit 1995 arbeitet er als Konzernbetriebsprüfer. Er lebt mit seiner Familie auch heute noch in seiner Geburts- und Heimatstadt Brühl.
Zeit- und gesellschaftskritische Themen sind zentrale Elemente seiner schriftstellerischen Arbeiten.
In seinem ersten Buch 'Heiliges Blech' (2006) schildert er bewegend und einfühlsam den sinnlosen Unfalltod einer jungen Frau und richtet so den Fokus auf die Schattenseite der Faszination Auto. Diese Publikation mündete in eine bundesweite Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Akteuren in der Verkehrsunfallprävention, unter anderem mit dem Netzwerk für Verkehrssicherheit Brandenburg, das mit Ausschnitten aus der Erzählung ein Hörbuch für Schulen produzierte.
Er hat Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht.
Die soziale Sprengkraft der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich ist der Stoff seines aktuellen Kriminalromans 'Lautlos nach unten', der 2015 im Geest-Verlag erschienen ist. Erschreckend realistisch zeigt er darin die Strukturen der gesellschaftlichen Ungleichheit und lässt sie gegen das Kapital prallen.
Weitere Informationen zum Autor und seinen Büchern finden Sie unter www.manfred-cibura.de

ganz neu erschienen:

Rudi stand auf. Geest-Verlag 2022

Manfred Cibura

Rudi stand auf

Erzählung

Geest-Verlag 2022

ISBN 978-3-86685-887-9

100 S., 11,80 Euro

 

Einfach noch einmal von vorne anfangen und etwas Neues machen. Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, alles hinter sich zu lassen. Ein neues Leben beginnen und nur nach vorne schauen. Dieses Buch erzählt von einem solchen Neuanfang. Es ist die Geschichte von Rudi Kleine. Vierzig Jahre Beamtentum. Vierzig Jahre umgeben von grauen Möbeln, grauem Porzellan und grauen Anzügen. Nach vier Jahrzehnten Grauen fasst Rudi Kleine einen Entschluss, der seinem angepassten Dasein Leben einhaucht. Rudi steht – und alles um ihn herum beginnt sich zu bewegen. Es eine Suche zu Rudis Selbst, die ihm nicht nur Wege zu alten Bekanntschaften und neuen Leidenschaften bahnt, sondern ihm vor allem für das die Augen öffnet, das sich als wesentlich erweist.

Ausschnitt aus 'Rudi steht auf'

Freitag.
Punkt neun.
Er wurde hier hinbestellt.
Die Zahl vierzig konnte er nicht verleugnen, aber er hätte nein sagen können.
Seit vier Jahrzehnten war er dabei und doch gehörte er nicht dazu, hatte nie recht dazugehört. Ein Einsiedler im Gedränge der Rechtschaffe-nen. Auch heute versuchte die kleine Runde der Angepassten, ihm das Gefühl zu schenken, einer von ihnen zu sein. Zu diesem absurden Schauspiel hätte er nein sagen müssen.
Nun saß Rudi hier und hielt dieses Blatt in sei-nen Händen. Für 40 Jahre treue Pflichterfüllung sprach ihm eine mit Landeswappen und amtli-chem Siegel schmuckvoll verzierte Urkunde Dank und Anerkennung aus. Treue – gehören da nicht zwei dazu? Ein schmuckloses Blatt Papier statt Wertschätzung. In der kleinen, grauen Porzellanschale vor ihm lagen ein paar trockene Butterkekse und mit bunten Zuckerperlen deko-rierte Plätzchen. Immerhin. Und Filterkaffee, wenn auch dünn und lauwarm. Rudi trank einen kleinen Schluck, stellte die Tasse zurück auf den Couchtisch und schob sie mit einer demonstrativ missbilligenden Geste von sich weg. Trotz der Menschen um ihn herum fühlte er Leere, ei-ne Empfindung, die sich für ihn an diesem Ort zum Normalzustand entwickelt hatte.
Dieses Haus war übervoll mit Leere.
Eine vollkommene Leere.
„Ich bin beeindruckt von unserem neuen Teamgeist“, sagte Hans Michelhans.
„Ja, dieses neue Wir-Gefühl entwickelt eine unglaubliche Dynamik“, war die Antwort, die sich der Amtsleiter wünschte und die er von Noll erntete.
„Ich bin fest davon überzeugt, auch unsere Imagekampagne wird ein durchschlagender Erfolg. Sie ist so bunt. Sie ist so frisch.“
Auch für diese Einschätzung fand Hans Michelhans ungeteilte und loyale Zustimmung, auch von seinem Speichellecker Ansgar Sievert, der direkt neben Rudi saß. Genauer gesagt, ‚Dr.‘ Ansgar Sievert, denn auf seinen akademischen Grad legte Sievert wert, auch wenn der Erwerb seiner Doktorwürde in den Verwaltungswissenschaften sehr undurchsichtig blieb, aber dies ist eine andere Geschichte. Rudi schaute nicht nach rechts, um nicht in das Gesicht von Sievert blicken zu müssen. Es war leichter zu ertragen. Sievert schien es nicht anzustrengen, unentwegt ‚ja‘, ‚ja natürlich‘, ‚ja, genau‘ oder ‚ja, da haben Sie vollkommen recht‘ zu sagen. Vielleicht, weil das Vokabular von Dr. ‚Jawohl‘, so nannte Rudi ihn, damit auch nahezu erschöpft war.