22.10.2017 - aktuelle Autorin - Marianne Pumb (zur Erinnerung an die vestorbene Autorin)

 

Marianne Pumb

 

Biographisches

 

Marianne Pumb, die uns unvergessen bleibt,  während einer Lesung in der Berliner Gethsemane Kirche

 

 

Foto von Holger Glück

 

Marianne Pumb, als Pfarrerstochter 1961 in Neubrandenburg geboren, begann als Kind mit dem Schreiben von Gedichten. Sie ist „Verfolgte Schülerin der ehemaligen DDR" (anerkannt nach dem BerRehaG) und wurde trotz hervorragender schulischer Leistungen nicht zur Erweiterten Oberschule und später nicht zum Hochschulstudium zugelassen.

 

Seit 1977 lebt sie in Berlin und ließ sich dort an der Medizinischen Fachschule in Berlin-Buch als Krankenschwester ausbilden. In diese Zeit fallen ihre ersten Veröffentlichungen. Sie arbeitete intensiv an Texten für Kulturprogramme der Medizinischen Fachschule „Dr. Georg Benjamin", wurde dort wiederum ausgegrenzt wegen politischer Differenzen und grenzte sich dann ebenfalls ab, um politisch nicht vereinnahmt zu werden. In Folge dessen lehnte sie einen Literaturpreis ab, der in einer Einladung zum bedeutenden Poetenseminar der DDR bestand.

 

Ihre weiteren Arbeits- und Lebenserfahrungen bestehen u. a. als Kranken- und Gemeindeschwester, im Sekretariatsdienst, in Beratungs- und Vortragstätigkeit.

 

Nach der „Wende" Hinwendung zum professionellen Schreiben, sie veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien.

Marianne Pumb verstarb nach langem Leiden im August 2016.

Im Geest-Verlag erschienen:

 

Hier ein Ausschnitt aus: Unter uns Pastorentöchtern

Es gab eine Zeit, da wusste ich gar nicht, dass es Pioniere gab und Halstücher, Pionierlieder und Menschen, die nicht an den lieben Gott glaubten. Das war eine schöne Zeit, ich musste noch nicht in die Schule gehen. Mir kam es vor, als sei dies das Paradies gewesen, von dem die Bibel erzählt. Wir lebten damals in einem sehr kleinen mecklenburgischen Dorf. Wir hatten einen riesigen Garten und hinter dem Garten ein Feld. Wir hatten einen Misthaufen, samt Hahn und Hühnern. Wir hatten eine Ziege, die mein Vater mit seinem Motorrad im Beiwagen mit gebundenen Beinen zum Bock fuhr, der im nächsten Dorf bei einem Bauern lebte. Ich durfte unsere Ziege melken. Aber es war eine blöde Ziege, sie trat mich. Wir hatten auch Schweine und kleine Ferkel, Gänse und einen bösen Ganter, vor dem ich immer Angst hatte und der – Gott sei Dank – später abgeschlachtet wurde, weil er die Ge-meindebesucher anfiel. Ich hatte einen leben-digen Bruder, den ich liebte und der mit mir ab und zu spielte. Er war älter als ich und ging schon zur Schule. Und ich hatte einen toten Bruder, der konnte nicht mit mir spielen, aber er lag auf dem Dorffriedhof neben unserer Kir-che, die aus großen Feldsteinen zusammenge-mauert war. Ich ging gerne auf den Friedhof, ich setzte mich gern auf sein Grab. Ich liebte auch meinen toten Bruder, obwohl ich ihn nicht kannte. Ich sprach viel mit ihm, wenn ich an seinem Grab saß, ich buddelte auf und in der Erde herum, erzählte ihm von mir, seinem Bruder und seinen Eltern. Seine – und meine – Eltern waren sehr schöne Menschen. Sie hatten sich lieb. Auch im Dorf waren sie beliebt und sehr geachtet. Und uns Kinder, die Kinder des Pfarrers, die mochte jeder. Wie im Paradies eben.

Teil dieses Paradieses war auch unser Klo. Es war ein Plumpsklo. Wir mussten nicht mehr über den Hof auf das grüne Häuschen mit Herz, dorthin gingen die Tanten, die auch im Gemeindehaus wohnten, wir hatten schon ein modernes, in das Haus eingebautes Plumps-klo. Schade, dass wir dieses Klo nicht bei unserem Umzug in die Stadt hatten mitnehmen können. Unser jetziges Wasserklo gefiel mir nicht halb so gut, es war nicht anheimelnd genug. Damals musste ich nur durch die Waschküche gehen, die neben unserer Küche lag, und war dann am Örtchen. Man konnte auch vom großen Hausflur dorthin gelangen, denn dieses Klo wurde bei Gemeindefeiern von allen benutzt. Ich saß gern auf dem Klo. Alles war aus hellem Holz, viel Platz, gerissene Zeitungsstücke lagen dort bereit, die ziemlich hart waren für meinen Hintern. Es zog auch am Hintern, wenn ich auf dem Klo saß. Ich konnte meine Geschäfte aufklatschen hören. Das Dünne, das Dicke fiel in einen Schacht einige Meter hinunter. Jedes Mal sah ich dem hinterher. Ich schaute wie von einem hohen Turm hinab. Mich befiel immer ein Schaudern, wenn ich aufgeregt in den großen Kasten guckte, der zuunterst des Turmes stand, in dem sich meine Würste befanden und die Würste meiner Familie und mitunter auch die Kacke der Christen unseres Dorfes. Ich passte beim Hinuntergucken auf, dass ich nicht selbst hinterherfiel. Einmal im Monat wurde dieser Kasten ausgeleert. Das war die Arbeit meines Vaters, der mit mehreren Männern den Kasten herauszerrte und auf einen Pferde-wagen stemmte. Es war eine lange, harte Arbeit, die Gestank aufwirbelte. Aber das störte mich nicht, ich beobachtete oft meinen Vater und die kräftigen Männer bei dieser Arbeit von oben aus meinem Turm. Ich war Rapunzel, ich ließ nicht mein Haar herunter, denn es war nicht so lang, und ich wollte natürlich auch meine Locken nicht schmutzig machen. Aber mein Vater war stark, er war der Ritter und Prinz. Er erzählte uns Kindern oft Geschichten. Er war ein toller Vater.

Manchmal ist er auch etwas unheimlich. Meine Mutter hat mir ein schönes Kleid angezogen und geht mit mir in unsere kleine Dorfkirche. Ich singe mit meiner Mutter. Ich kann noch nicht lesen, ich kenne das Lied nicht, aber ich singe so laut, dass ich mich selber hören kann. Meine Mutter guckt mich an und lächelt. Oben auf der Kanzel steht ein Mann, der aussieht wie mein Vater. Ich weiß auch, dass dies mein Vater ist. Aber er ruft so laut und erregt. Er haut mit der Faust auf das Kanzel¬brett, dass es nur so kracht. Mir scheint, dass mein Vater ein böser Mann ist, der uns alle ausschimpft. Aber nach dem Gottesdienst ver¬abschiedet dieser Mann die Menschen, die in der Kirche sind. Er lacht – und sie lachen auch.
Jetzt ist der Mann wieder mein toller Vater geworden.