23. Juni 2017- aktueller Autor - Udo Brückmann


 


Udo Brückmann

geb. 1967,  studierte Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin. Dort ist er im Fernseh-, Film- und Bühnenbereich tätig gewesen. Die Leidenschaft für das Schreiben führte zu Drehbuchentwürfen, Opernkritiken und zu ersten Veröffentlichungen in Anthologien sowie im Bereich Jugendbuch und Kindergedichte. Lebt heute als Pädagoge und Autor im ländlichen Niedersachsen.

Im Geest-Verlag erschienen:

Brückmann, Udo und Hedemann, Volker: Zirkus Konzentrazani - Ein Roman gegen das Vergessen

 Brückmann, Udo - Ewig blüht das Leben - Ein dörflicher Kriminalroman

 

 

Textauszug aus Zirkus Konzentrazani - Ein Roman gegen das Vergessen:

ANKUNFT


„Wenn dir ein Vogel aufs Hemd kackt, dann sei nicht sauer, sondern freu’ dich darüber, dass Kühe nicht fliegen können!“
Auf den gerade noch verängstigten Gesichtern machte sich ein Schmunzeln breit. Der Marsch durch das öde Moor verlor für einen kurzen Moment an Bedrohlichkeit.
„Wir werden euch das dumme Grinsen schon noch aus der Fresse schlagen. Los, ihr Schweine! Marschieren! Schneller!“
Jede menschliche Regung erstarrte.
„Was für eine brillante Inszenierung! Das hättest du auch nicht besser hinkriegen können, Richard“, flüsterte Georg seinem Nebenmann zu und schaute sich ängstlich um. Dabei hatte das Schauspiel noch gar nicht begonnen, denn erst jetzt kam Bewegung in die kargen Kulissen. Schmerzensschreie und knallende Peitschenhiebe zerschnitten die Stille. „Abstand halten, hab ich gesagt! Aus der Reihe tanzen könnt ihr bei euren Parteiversammlungen, hier herrscht Ordnung! Wer links oder rechts schaut, wird erschossen.“
„Wie soll man tanzen können, wenn man nicht einmal richtig laufen kann“, zischte Richard vor sich hin. Er versuchte, das nagende Gefühl von Angst zu ignorieren. Vor ihm, hinter ihm, neben ihm fielen Menschen in den Dreck, brachen mit dem Gepäck auf ihren Schultern zusammen. Sie hatten Mühe, ihre verstreuten Habseligkeiten wieder einzusammeln. Dabei knallten unablässig die Peitschen auf ihre geschundenen Körper. Tritte mit schweren Stiefeln gaben ein ständiges Geleit. Jede Hoffnung verlor sich in der weiten, braunen Heidelandschaft. Kein einziges Tier schien sich in diese Kargheit verirrt zu haben. Reste ausgezehrter Sträucher ragten wie Skelette aus dem Moor und zeigten mit verdorrten Ästen, die wie knochige Hände aussahen, auf die Vorbeiziehenden. Größere Bäume waren hier und da nur spärlich vorhanden. Sie wirkten wie verlassene Leuchttürme einer längst vergangenen Zeit.
Der zermürbende Marsch wollte kein Ende nehmen, Kilometer um Kilometer. Telegrafenmasten, die sich aufgereiht im Nichts verloren, wiesen darauf hin, dass es hier so etwas wie eine menschliche Zivilisation geben musste. Ansonsten war für das Auge kein Gegenstand zu entdecken, den es fixieren, erkennen oder einordnen konnte. Alles blieb im Ungefähren, die unwirkliche Landschaft schien wie aus einer fremden Welt zu sein.
Die Schreie, das schwere Atmen, das Knallen der Peitschen und der ordinäre Befehlston lähmten jedes Denken, jedes Handeln. Nur mit dem matschigen Untergrund gab es einen Blickkontakt, die restliche Wahrnehmung schmerzte zu sehr. Sie warf alle Machtlosigkeit zurück.
Die hereinbrechende Dunkelheit befreite ein wenig von der Last – besser nichts sehen als die eigene Ohnmacht. Die Reihen waren geschlossen, die Schmerzensschreie blieben weiterhin die Begleitmusik. Als am Horizont schließlich Lichter auftauchten, machte sich Unruhe breit. Endlich ein Ziel in dieser Wildnis?
„Vielleicht sind es Irrlichter“, flüsterte Georg. Seine Stimme klang keuchend und heiser.
Die Peitschenhiebe knallten jetzt unablässig. Noch mehr Schreie waren zu hören, die Erregung ließ sich nicht mehr unter Kontrolle bringen. Vermutungen, Hoffnungen und Ängste mussten freien Lauf bekommen. Erst als die Lichter sich deutlich als Scheinwerfer herausstellten, kam das Gemurmel zu einem Ende. Es war ein abruptes Ende, denn die Lampen warfen Licht auf lange Stacheldrahtzäune, einfache Holzhäuser, Berge von Baumaterialien und auf eine Vielzahl von Personen mit geschulterten Gewehren, auf denen Bajonette steckten. Jede dieser schwarz gekleideten Personen hatte einen Knüppel in der Hand.