23.01.2022 - aktueller Autor - Jonas Heyng

ettenbrief
Jonas Heyng

Wenn sich Menschen einander vorstellen, ist dies immer nur eine Momentaufnahme. Sie präsentieren sich einander in diesem kurzen Augenblick, den wir ‚jetzt‘ nennen, aber nicht mehr. Doch auch was hinter uns liegt, ist mit uns verbunden. Manchmal mit schweren Ketten.
Moin, ich bin Jonas. Ich bin 4 Jahre alt und gehe in den Kindergarten. Ich bin glücklich und oft bei mei-ner Oma. Jeden Tag lerne ich etwas Neues und liebe das Leben. Ich werde mich an kaum etwas aus dieser Zeit erinnern.
Moin, ich bin Jonas und 12 Jahre alt. Etwa eine Stun-de am Tag bin ich glücklich. Im Bus, wenn ich weder in der Schule noch bei meiner Familie bin. Ich fühle mich nicht genug beachtet und will gleichzeitig, dass mich alle in Ruhe lassen. Sie sagen, dass es nur die Pubertät ist, und sie haben recht. Aber es gesagt zu bekommen, macht es nicht besser. Das macht es schlimmer. Ich werde mich meistens nicht an die Zeit im Bus erinnern.
Moin, ich bin Jonas und 14 Jahre alt. Ich habe einen Menschen schlimm verletzt und habe mich noch nie im Leben mehr geschämt. Meine Scham ist so groß, dass ich nicht darüber sprechen kann. Dummerweise wirkt es daher für die anderen so, als wäre mir alles egal, während es mich innerlich zerreißt. Ich werde mich an den Selbsthass erinnern und den Glauben, dass alle anderen mich ebenfalls hassen.
Moin, ich bin Jonas und 16 Jahre alt. Ich kann nicht so gut mit anderen Menschen. An meiner Schule ver-bringe ich viel Zeit mit Leuten, denen es ähnlich geht. Ich werde mich daran erinnern, wie ich die Zeit mit diesen Menschen genossen habe, und bedauern, nicht offener für andere gewesen zu sein.
Moin, ich bin Jonas und 18 Jahre alt. Ich lasse mich mehr als gesund ist von einem Buch beeinflussen und behandle viele gute Freunde schlechter, als sie es verdient haben. Ich werde mich daran erinnern, aber es wird sich nicht wie meine Erinnerung anfüh-len.
Moin, ich bin Jonas und 19 Jahre alt. Ich habe das erste Mal in meinem Leben schmerzvolles Heimweh. Ich esse eine Zeit lang kaum und entschuldige mich bei meinen Freunden. Ich werde mich daran erinnern, wie schön es ist, beim Wandern zu singen.
Moin, ich bin Jonas und 24 Jahre alt. Ich erinnere mich eher an die schlechten Dinge im Leben. Doch ich bin mehr als die Summe meiner Fehler. Ich habe mal jemanden davor gerettet zu erfrieren. Ich spende alle 2 Monate Blut. Ich verzeihe jedem, weil ich mir wün-sche, dass auch mir verziehen wird. Wenn ich eine gute Idee für ein Geschenk habe, scheue ich weder Mühe noch Kosten. Ich halte jedes Versprechen, das ich gebe. Ich bin mehr.
Ich bin Jonas und am Ende dieses Satzes werde ich nicht mehr sein, aber es bleibt die Erinnerung.


Jonas Heyng


Ein zurückhaltendes Schmunzeln
im rechten Mundwinkel
Ein kritischer Blick
eine ironische Bemerkung
In Gedanken versunken wirkt er still
Doch hört zu, er hat viel zu sagen