23.02.2020 - aktuelle Autorin - Evi Clus

aktuelle Autorin - Evi Clus

Evi Clus, geboren 1949 in Kiefersfelden ( Ober­bayern), examinierte Pflegefach­
kraft. Verheiratet, zwei erwachsene Kinder, lebt mit ihrer Familie auf der Schwä­bischen Alb.
Nach ihrer Krebserkrankung 1997 und  einer Zweiterkrankung 2000 setzte sie sich zum Ziel, anderen Krebspa­tienten beratend zur Seite zu stehen. Daraus entwickelte sich im Laufe der Jahre der Aufbau von  Selbsthilfegruppen in der Region, ein Arbeitskreis für Selbsthilfegruppen von Menschen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern,  die Organisation von Benefizver­anstal­tungen für krebskranke Kinder, Beratungstätigkeit in der Frauenklinik Tübingen einmal wöchentlich bei Neu­er­krankten und schließlich die Gründung der Angelostiftung. Diese Stiftung unterstützt krebskranke Kinder und Kinder von krebskranken Eltern aus der Region.

Im Geest-Verlag erschienen:

Dieses Buch beinhaltet einen Teil meiner Erfahrungen als Beraterin und Begleiterin für Krebspatienten und deren Angehörigen. Zudem möchte ich in diesem Buch einen Teil meiner eigenen, zum Teil schmerzvol-len Erfahrungen als Krebspatientin der Öffentlichkeit preisgeben. Dies allerdings nicht, um eine Selbstdarstellung zu liefern, sondern anderen Erkrankten die Möglichkeit zu geben, bestimmte Regeln einzuhalten oder auch generell überflüssige Problemstellungen zu vermeiden. Leider musste ich die Krebsdiagnose zweimal erfahren und weiß inzwischen, was alles falsch laufen kann und was ich persönlich an falschen Entscheidungen in Zukunft auf keinen Fall wiederho-len möchte.
Das andere, sicherlich etwas spektakulärere Thema dieses Buches gibt einen Einblick in meine Kindheit, in der ich viel an Schwerem und Unrechtem erfahren musste. Ausschnitte aus diesem Leben sollen auf die-sen Seiten einen Platz finden, aber ein großes Stück Vergangenheit soll damit auch für mich abgeschlossen werden. An alten und verletzenden Themen auf Dauer festzuhalten, hilft keinem der Betroffenen wirklich weiter, den inzwischen Verstorbenen am allerwenigsten. Ich möchte mit der Darstellung meiner Geschichte vielen Neuerkrankten den Mut geben, ihre eigenen, sie belastenden Geschichten aufzuarbeiten. Es ist nie zu spät, seinem Leben eine andere Richtung zu geben, um nicht ständig wieder in der typischen Opferrolle zu landen. Keiner wird als Märtyrer geboren. Jeder Mensch entscheidet für sich, wie viel er den einzelnen Stationen, Situationen und Personen in seinem Leben an Bedeutung einräumt. Leider gibt es viele Menschen, die ihr Le¬ben lang nur von anderen benutzt werden. Aus gutem Grund ändert das Lebensumfeld seine Haltung nicht, würde dadurch die eigene Lebensqualität doch eingeschränkt.
Eigenverantwortung zu übernehmen, ist das Allerwichtigste im Leben, nur dadurch kann ich das Maß meines Selbstwerts selbst bestimmen. Dies gilt auch oder gerade für kranke Menschen. Jeder von uns hat es persönlich in der Hand – wie schwer sein Schicksal auch sei –, wertvolle Begegnungen zu erleben und konstruktive Erfahrungen zu machen. Wir dürfen niemals die Macht über unseren Körper komplett abgeben, denn nur wir allein sind verantwortlich für unsere Lebensqualität. Nur wenn absolut nichts mehr machbar ist, sollten wir andere Menschen die Verantwortung übernehmen lassen. Unser Körper sagt häufig rechtzeitig allein schon ‚Stopp‘ bei unguten und gefährlichen Ereignissen, doch wir registrieren es einfach nicht. Es muss immer wieder erst durch eine Krankheit oder durch ein schweres Unglück ein Umdenken stattfinden. Wir haben es offen-sichtlich zum Teil verlernt, auf unser Bauchgefühl zu hören, obwohl uns dieses meistens die richtige Entscheidung anzeigt.

Viele Steine lagen von Kindheit an auf meinem Weg und brachten mich zum Stolpern. Davon möchte ich einzelne Dinge und Ereignisse aufgreifen und in ihrer Bedeutung hinterfragen. Die Dramatik vieler Schicksalsschläge ist, wie ich an mir selbst erleben durfte, wenn man sie einmal verarbeitet hat, bei Weitem nicht mehr so hoch. In den Momenten der Erinnerung erhalte ich auch die Chance, meine individuelle Geschichte endgültig abschließen zu können. Meine Verletzlichkeit bestimme ich daher inzwischen bis zu einem gewissen Grad selbst. Es ist nie zu spät, sei-nem Leben andere, wichtigere Werte zu vermitteln.
Nach der Krebsdiagnose fällt in meinem Leben sehr vieles erbarmungslos durch ein Raster. Es fällt mir inzwischen auch nicht mehr so schwer, wenn manche Personen dabei zurückbleiben. Wir selbst sollten und müssen entscheiden, welche Menschen uns in unserem zukünftigen Leben begleiten und wem wir keinen Platz mehr einräumen wollen. Es gehört sehr viel Mut dazu, auch Dinge beim Namen zu nennen und schmerzvolle Erlebnisse aufzuarbeiten. Aber ich kann aus eigener Erfahrung behaupten, es lohnt sich! Die sich wirkliche Freunde nennen, müssen erst beweisen, dass sie diese Bezeichnung tatsächlich verdienen. Manchmal hängt man Sympathie an falsche Freunde, die zwar immer von mir wollen, aber nicht bereit sind, auch zu geben. Wie heißt es so treffend: Freunde lernt man in der Not kennen.
Sehr oft höre ich von erkrankten Menschen, dass sich das gewohnte Umfeld drastisch verändert und viele vertraute Gesichter plötzlich nicht mehr präsent sind. Wie feige ist das von Menschen in unserem Umfeld? Natürlich ist es nicht wirklich hilfreich, wenn man nach einer Krebsdiagnose einmal anruft und fragt: Wie geht es dir? Wie soll es mir schon gehen nach einer solchen Hiobsbotschaft? Besser wäre es für ei-nen Freund zu sagen: Wenn du mich an deiner Seite brauchst, bin ich da.
Das sind einfach grundlegende Regeln, die vielleicht nicht jeder beherrschen kann, wahrscheinlich ist das von manch einem zu viel verlangt. Aber zugleich frage ich mich: Wie sonst soll man Krisen im Leben bestehen, wenn man nicht einfache Grundregeln beherrscht? Versagt nicht sonst beim ersten großen Sturm die wahre Freundschaft?