23.05.2020 - aktueller Autor - Norbert Büttner


 


Norbert Büttner

geb. 1962, wohnhaft in Berlin, Angestellter, veröffentlicht Lyrik und Prosa in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien.

Veröffentlichungen im Geest-Verlag

 
 
 
Messerschnitte. Erzählungen. 2012,
daraus ein Ausschnitt aus: Die Boje
 
DIE BOJE

An der Oberfläche war das Wasser lindgrün, weiter auf dem See hinaus und in tieferen Schichten wurde es türkisfarben. Vom Grund streckten sich wie die Masten versunkener Schiffe einige abgestorbene Kiefern nach oben zum Licht. Die Bäume waren bei der Flutung des ausgekohlten Tagebaus nicht gefällt worden. Es war fast windstill. Nur manchmal fuhr eine Bö in den See, warf Wellen auf und brachte das Boot zum Schaukeln. Er hielt sich am Bootsrand fest.
„Hast du Angst?“, fragte sie. Sie saß ihm gegen-über an der Bootsspitze und trug nur ein Top und Shorts. Ihre Arme und das Gesicht waren braun mit rötlichem Schimmer, in ihrem blonden Haar steckte eine Sonnenbrille.
„Du weißt doch, dass mir vom Schaukeln immer schlecht wird“, sagte er. Er schwitzte vom Rudern. Auch er hatte nur T-Shirt und Shorts an, aber seine Haut war käsig hell. Er kniff die Augen zusammen, wenn er sie ansah, denn hinter ihr leuchtete die Sonne.
„Wie, konnte ich nur vergessen, dass du so emp-findlich bist“, sagte sie spöttisch.
„Fang nicht wieder zu streiten an“, bat er, „dein Auftritt gestern vor deinen Freunden war schon pein-lich genug. Man könnte meinen, du liebst mich nicht mehr.“
„Weil ich nicht das liebe Hausmütterchen spielen und dich betutteln will?“, fragte sie gereizt.
„Lass doch das Zanken. Du wirst schon eine Stelle finden nach dem Mutterjahr.“
„Als ewige Praktikantin mit einem Kind am Hals!“, rief sie. „Nein, zwei, wenn ich dich dazu rechne.“ Wü-tend hängte sie die Beine ins Wasser.
„Wir wollten das Kind doch beide“, sagte er leise, „und Mutter nimmt es dir auch oft ab.“
Sie trampelte mit dem Fuß in den See, dass das Wasser hoch aufspritzte und ihn durchnässte.
„Du hast mich gedrängt!“, rief sie. „Du und deine Mutter.“
„Zu einer Ehe gehören nun einmal Kinder“, murmelte er.
„Du Katholik aus dem Rheinland!“, rief sie.
„Atheistin aus Sachsen“, sagte er.
Sie lachte plötzlich und zeigte voraus. „Siehst du die Insel?“
Er beschattete die Augen. Vor der südwestlichen Uferlinie mit ihren kleinen Buchten und Sandbänken lag eine kleine Insel, von Birken und Kiefern besiedelt und mit einem schmalen, aber leuchtend weißen Strand.
„Das ist wie das Paradies!“, rief sie. „Und nur für uns allein. Fahr hin!“
Eine rote Boje kam in seinen Blick. Sie schwamm zwischen ihnen und der Insel. Er bemerkte, dass eine ganze Kette von Bojen vor der Insel lag.
„Das ist verboten“, sagte er.
Sie lachte erneut. „Manchmal glaube ich, dass du von uns beiden der Ossi bist. Du hältst dich an jede Verbotstafel und hast Schiss, irgendetwas zu unter-nehmen.“
„Vielleicht ist dort das Restloch?“
„Quatsch!“, rief sie. „Die Bojen haben sie nur wegen der Vögel gesetzt. Wir sollen sie nicht beim Brüten stören.“
„Das ist doch ein guter Grund, warum wir nicht dahin fahren sollten.“
Sie beugte sich vor und fasste sein Knie an. Ihre Hand war kühl, sie hatte sie ins Wasser gehalten.
„Sei doch einmal mutig“, sagte sie traurig, „und mach etwas, was du sonst nie machen würdest. Tu es für mich.“
Wortlos legte er sich ins Ruder. Als sie an der Boje vorbeikamen, stieß sie mit dem Fuß nach ihr und schob sie weg.
„Halt uns nicht auf, du dummes Ding!“, rief sie. „Und du, mein Kolumbus, beeil dich.“ ...