25. Juli 2016 - aktuelle Autorin - Cornelia Koepsell

Die Autorin Cornelia Koepsell, 1955 in Schar­ne­beck geboren, lebt heute in Augsburg. Studium von Germanistik, Be­triebs­wirtschaft und Geschichte, arbeitet heute im Finanzbereich.
Diverse Veröffentlichungen in Antho­logien. Mehrmalige Ge­winnerin des Poetry Slams ‚Lauschangriff‘ in Augs­burg, Ge­winnerin des 3. Preises des Schwäbischen Literaturpreises 2011

Im Geest-Verlag erschienen: Das Buch Emma

„Der Krieg war neun Ja­h­re vorbei. Ihre Eltern und Lehrer wussten wenig. Sie hatten nicht gemerkt, was passiert war. Wie alle Erwachsenen, die nichts wussten, wollten sie nicht gefragt werden.“ In diesen Jahren des wiederaufbauenden Deutschlands wächst Emma auf. Der Vater wäre gerne Pfarrer geworden, doch die Nachkriegsjahre lassen für ihn ein Studium nicht möglich werden. So ernährt er die Familie als Buchhalter und lebt seine Religiosität in der Familie aus.
Emma ist seltsam, spricht mit Spinnen und Würmern, ist in allem anders. Als ihr schließlich droht, in ein Heim abge­scho­ben zu werden, bemüht sie sich um Normalität.
Ihr geliebter Bruder, aus dem man stets versucht hat, einen echten Jungen zu formen, verlässt das Haus und schickt aus der fernen Stadt politische Flugblätter gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Emma folgt ihm, wird Mitglied einer K-Gruppe, findet dort Geborgenheit. Doch ihre Unfäigkeit sich anzu­pas­sen, führt sie auch hier bald in Distanz, zum Austritt aus der Partei und zugleich für verschiedene Vergehen ins Gefängnis. Schließlich vereint das Sterben des Vaters die Familie wieder.
Die Geschichte einer Nichtangepassten, sprachlich und ge­danklich virtuos in ihrem Leben zwischen individuellem Sehnen und gesellschaftlichem Anpassungsdruck dargestellt. Ein mehr als gelungener literarischer Debutroman der Autorin.

Auszug:

Als Paul und drei Jahre später Emma geboren wur-de, war die Welt in Ordnung. Als Säugling ent-sprach sie allen Erwartungen. Schwarze Haare standen von ihrem Kopf ab, sie reckte winzige Fäuste und schaute grimmig in Gesichter, welche sich über sie beugten.
Emma lachte nicht auf Kommando. Damals fanden alle das süß. Wenn sie schrie, erschien ein gut riechendes Wesen, nahm sie hoch und versorgte sie, stillte ihren Hunger, ihren Durst, ihr Bedürfnis nach Wärme, Geborgenheit und Gehalten werden.
Ein Gewächs wie ein Schwamm breitete sich aus auf Emmas Rücken, wurde groß und fett. Sie fand sich wieder in kalten, weißen Räumen. Die vertrau-ten Geräusche verschwanden.
Wenn sie schrie und schrie und immer weiter brüllte, kam niemand. Oder – falls doch – so war es eine Fremde, die anders roch und deren Kleidung leuchtete wie die Wände ringsum. Einmal fuhr ein scharfer Schmerz wie ein Dolch in ihren winzigen Rücken, dort wo das Gewächs wucherte. Emma wusste nicht, dass es Schmerz war, was sie fühlte. Es gab keinen Namen für diesen Zustand. Nichts war mehr wie es sein sollte.

Sie kehrte zurück zu vertrauten Gerüchen. Emma sog sie nicht mehr mit geblähten Flügeln ins Näschen, öffnete ihre Poren nicht sperrangelweit, um die Berührung, das Herzen, Liebkosen entgegen-zunehmen. Viel zu schnell konnte es vorbei sein, aus unerfindlichen Gründen. Sie würde sich wie-derfinden in kalten, weißen Räumen. Spitze Gegenstände würden in sie hineinfahren. Mit einem Panzer würde es das nächste Mal nicht mehr wehtun.

Emma wurde größer, begann zu sitzen, zu kriechen. Sie stemmte sich auf ihre Beinchen, lief ein paar Schritte, fiel hin, stand auf. Ein neues Zeitalter war angebrochen. Die Angst vor kalten, weißen Wänden wich zurück. Sie konnte weglaufen nach draußen in den Garten, den Schuppen, konnte sich verstecken in duftenden Laubhaufen, zwischen den Blumen, im Gang hinter dem Haus und dem Zaun zur Fabrik.
Nur nachts kam er zurück – der immer gleiche Traum. Aufrecht stand Emma im Gitterbettchen, schrie und weigerte sich lautstark, dem Schlaf nachzugeben, dem Feind, der sie überraschte mit einer Handvoll Hexen, die sie kichernd und kreischend durch die Luft warfen und ihre langen, spitz zugefeilten Nägel bohrten sich in weiches Fleisch.