Reinhard Rakow- himmelfahrt

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Reinhard Rakow
Himmelfahrt


Mit ein bisschen Glück scheint Dir die Sonne an diesem Tag. Nicht sengend und aufdringlich, sondern wärmend, einschmeichelnd warm. Smooth. Iucunde. Damit Du das Teetrinken auf die Terrasse verlegst, Hemd oder Bluse ausziehst und gleich noch die nächste Kanne Wasser aufsetzen magst.


Frühlingelingelingeling wissen die Blaumeisen. Die Röcke werden kürzer, die Pullover dünner, die Brüste spitzer, die Kerle schärfer. Geh aus mein Herz und suche Freud. Aber doch nicht nur mein Herz, bitte.

Bei Klaus treffen sie sich wieder wie jedes Jahr. Runter vom Rad, drei Schritte zum Biergartenstuhl, fallen lassen, und ex. Selbst bestellen muss man nicht, Klaus kennt von jedem seine Marke.

Es ist alles gelb und grün. So grün wird das Grün nie wieder. Es ist in seiner Pubertät. Tut noch unschuldig, zeigt aber frühreif seine Reize. Nicht so prall wie später im Sommer, dafür noch unverbraucht, ohne Ablagerung von Erdenstaub und Luftverschmutz. Keine einzige ausgebildete harte Kontur. Alles nur angedeutet. Von so unvergleichlicher Grazie, Klarheit und Transparenz, dass einem schwindelt. Und erst das Gelb! Das Ginstergelb, oder das Gelb der Goldulme. Das Gelb des Sonnenschirms über dem Biergarten. Nicht zu vergessen der weite Seidenrock, so gelb, dass man unbedingt wissen muss, wie es drunter weitergeht. Man ahnt die Verderbtheit dieses Gelbs, aber jetzt ist es von bittersüßer Wärme, verheißungsvoll und verlockend. Du überaus erträgliche Leichtigkeit des Seins.


Bei Klaus sind sie beim dritten Bier. Die Kerle bei der dritten Nummer. Wer heute gezeugt wird, kommt Fasching zur Welt.


Wenn Du noch mehr Glück hast, schieben sich später am Tag Gewitterwolken vor die Sonne und bescheren Dir ein transzendental diffuses Licht, das Du so zuvor nie gesehen hast und auch nie wieder sehen wirst. Ist dies Grün noch grün oder schon blau oder bist du etwa blau? Und jenes: eher braun oder doch fast: schwarz? Nur das Gelb will noch weiterleuchten und wehrt sich gegen die Verdunkelung, so lange, wie das Restweiß am Himmel eben reicht. Nachspiele gibt́s, die sollten ewig dauern.


Die Katze hat sich eines der Blaumeisenküken, das in der Flugstunde nicht rechtzeitig vom Boden hochkam, gegriffen und zerlegt es jetzt auf dem neuen Teppich im Wohnzimmer. Hermann hat sich nach dem zehnten Bier für ein Huhn gehalten, ist laut gackernd zum Fahrradständer geschwankt, hat da aber die Kurve nicht gekriegt und ist an der Hauptstraße direkt vor einen giftgelben Audi TT gelaufen. Kannste nix machen. Filmriss.


Himmelfahrt, vulgo: Vatertag.



aus:
Atempause. Roman in vier Sätzen. Geest-Verlag 2012