Dieter Krenz - Das Zelt

Das Zelt

Wir Menschen leben in keinem Haus,
das uns schützt und wärmt.

Wir bringen es nur zu einem Zelt.

Es ist groß geworden, weil so viele darin leben wie nie zuvor.

Wir unterteilen es,
ziehen Zwischenwände hoch -
grenzen uns ab.
Wir schaffen zu jedem Abteil eigene Zugänge.
Wir verschließen sie schnell, wenn Fremde kommen.
Wir haben uns eingerichtet.

Immer wieder gibt es Konflikte im Zelt  - Raub, Vergewaltigungen, Mord, Besetzungen, Brände.
Ein Wunder, dass es noch steht.

Die meisten Menschen leben an der Außenwand des Zeltes,
wo es zieht und Ungeziefer unter der Plane hereinkommt.
Die ist verschlissen, löchrig.
Wer da wohnt, muss flicken und stopfen – doch die Kälte findet ihren Weg.
In der Mitte, bei den Zeltmasten, sind die Abteile warm. Die Äußeren wärmen die Inneren.
So war es immer schon.

Doch wer sorgt sich um das ganze Zelt,
wer erneuert die Planen,
wer prüft die Seile,
die Zeltanker, bevor
die Stürme kommen.