Jenny Schon - Sprachgitter Für Paul Celan

Jenny Schon

Sprachgitter
Für Paul Celan


Zerrissene Wortfetzen
Auf der Baustelle meines Lebens
Hinter Gittern versteckte
Kriegslust im Archiv
Lagern die Trümmer
Des Gewissens und viele
Suchen Schutz aus Scham

Ich war jung
Ich wollte neu anfangen
In Bergen-Belsen mit
Anne Frank an der Hand
Den Schrei der Gemäuer
zu einem Lied vertonen
Sprache neu üben

Ich wurde aufsässig
Raffte die Buchstaben
Und schritt zur Gegenwehr
Aber ich war unerfahren
Und hatte falsche Verbündete
Pamphlete waren
Nie von Dauer

Eigentlich wollte ich
Veilchen bedichten Zweige
Die im Herzen grünen
Den Abendgesang der Amsel
Und beim Sonnenuntergang
Den Liebsten im Arm halten
Wollte leben

Aber immer noch
Marschieren sie kriegslüstern
Mitunter von Frauen flankiert
Lebensverachtung hat kein
Geschlecht Befehl zu töten jedoch
Ist männlich aus diesem Raster
Auszusteigen war uns aufgetragen

Ich setzte Ableger in den
Garten der Worte
Ließ dem Wuchs freien
Lauf und entfernte das Gitter
Der Fremdheit Dann konnte
Ich schreiben in der Sprache
Der Herzen



Aus: Jenny Schon, Zukunft atmen, Gedichte, Geest Verlag, 2022