NICOLETA CRAITA TEN‘O, BREMEN Ausflug (1. Sieger Bittersüße Wirklichkeit)

NICOLETA CRAITA TEN‘O, BREMEN
Ausflug

Wenn ich daran denke, wie du mit Micha auf dem Arm gekommen bist und du sagtest: „Lass uns heimfahren jetzt.“
Du hast dir die Wand mit der Zunge verknotet, himmelgetränkt wie ein Schwamm. Ich hörte den Stillstand der Zeit zwischen deinen Bauklötzen, und wenn du spieltest, entstand aus einer Lüge Wasserdampf. Ich bin den breiten Weg gegangen und ich dachte, ich bin an einem Punkt angekommen, wo ich mich nicht mehr zu fürchten habe. Ich habe mir die letzten Jahre durch den Kopf gehen lassen, ich habe unsere Augenblicke des Glücks mit den Augenblicke der Verzweiflung addiert, multipliziert, reduziert, und alles sprach dafür, dafür, dass ich ein Recht habe, mit der Vergangenheit abzuschließen. Wir stehen hier nicht mehr als nackt mit deinen Hasen im Haar.
Ich bin den breiten Weg gegangen und ich habe mir die Ver-gangenheit durch den Kopf gehen lassen. Ich habe jede Narbe auf meiner Haut wahrgenommen, ich habe aus der Tasche meine Wasserflasche herausgeholt, mich mit bloßem Wasser betrunken, um mich wieder zu spüren. Fliegen gezwungen, ohne die Regenböen, der Morgen drängte sich, deine Zähne schmeckten nach Minze, und alles, was ich anfing, fühlte sich winzig an.
Ich bin den breiten Weg gegangen und ich habe über uns nachgedacht. Ich bin den breiten Weg gelaufen und aus jeder Ecke sprang mir ein Angsthase entgegen. Vielleicht bist du der Zwerg und ich Schneewittchen. Ich habe ein Pferd und eine Banane auf ein Papierblatt gezeichnet. Ich sperrte die Augen auf und dann machte ich sie wieder zu. Auf dem Papier bewegte sich gar nichts. Draußen war es sonnig. Neuer Tag, neue Zunge, neue Wand und du sprachst Wolkenkratzer. Ich habe über uns nachgedacht. Die Art, wie du mich behandelst, wie du mit meinen Lasten umgehst. Ich hatte keine schöne Kindheit. Aufgewachsen in einer erschütternden Welt voller häuslicher Gewalt. Meine Eltern liebten und hassten sich zugleich. Ich – ein Ball, geworfen von links nach rechts, ein Kind resultiert aus einem Versehen, das zwei Menschen band, die sich nicht besonders mochten. Mama war eifersüchtig, Papa ein Trinker. Unsere Hände schrieben die Geschichten mit Blut. Das Mitleid, das du mit mir hast, tröstet mich.
Ich bin den breiten Weg gegangen und habe an dich und Micha gedacht. Ihr, diejenigen, die mir das Gefühl gegeben habt, gebraucht und akzeptiert zu sein. Ich habe mich entschieden, das Schweigen zu brechen, meine Eltern mit meinen Erinnerungen zu konfrontieren, um Frieden zu finden, das Buch zuzuschlagen, die Blätter ruhen zu lassen, die Schmetterlinge aus ihren Gläsern zu befreien. Ich bin den breiten Weg nach Hause gelaufen und vor dem Haus meiner Eltern schlotterte ich wie gefangen in einem Eisklotz, bangte um mein Leben mit der Angst, diese Hürde nicht überwinden zu können. Ich habe an der Tür geklopft, Mama öffnete. Sie vergoss Freudetränen, umarmte mich und roch wie immer. Papa schaute Fernsehen mit einem Bier in der Hand. Er freute sich, mich wiederzusehen. Ich habe mich schuldig gefühlt. Wie sollte ich Groll gegen diese Menschen haben? Sie freuten sich beide, mich zu sehen. Die Aussprache, ich war wegen der Aussprache hier ...
„Ist was?“, fragte Mama. „Du hast was! Ist etwas mit Micha? Geht es dir gut?!
Ich fühlte mich schuldig, ich war Dreck unter dem Schuh, der letzte Mensch auf der Erde.
„Was ist los mit dir?“, fragte auch Vater. „Erzähl uns, hab keine Angst. Du siehst blass aus. Was beschäftigt dich?“
Und ich habe mich schuldig gefühlt.
„Hast du Schulden? Brauchst du Geld?“
„Nein!“, flüsterte ich. „Nein! Danke!“, habe ich gesagt. „Danke für alles, was ihr für mich getan habt, und danke für alles, was ihr für mich tut!“
Ich habe das Haus meiner Eltern verlassen mit diesem Geschmack von Asche im Mund. Es drehte sich alles und aus dem Himmel fielen Käsefüße. Du hast mich umarmt, mit Micha auf dem Arm.
„Lass uns heimfahren!“
Heute ist der Strom ausgefallen. Ich habe die Zeit auf dem Sofa liegen sehen. Sie hatte Durst. „Glaubst du, ich werde sterben?“, fragte sie. Als der Strom wiederkam, zeigten alle Uhren 12:00 Uhr. Ich habe angefangen zu tanzen, so ohne Musik. Als ich wieder auf die Uhr geguckt habe, zeigte sie immer noch 12:00 Uhr. Sie blinkte rot wie die Mütze vom Weihnachtsmann. Was tat ich mit meinem  Leben? Mein Leib fühlte sich wund an.
Im Nachhinein blicke ich zurück und gehe mit einem Gefühl von Leere ins Bett. Ich bin müde. Mein Mut reicht nicht aus, um mich aus den Ketten der Vergangenheit zu befreien. Auch wenn ich versuche, den Alltag bunt zu malen, was hinter mir liegt, ist nicht verarbeitet und schmerzt. Ich habe dich und unseren Sohn, die Sonne, die Nächte und die Luft zum Atmen. Ein funktionierendes Herz in der Brust. Ich sollte dankbar sein. Ich zeichne ein Pferd und eine Banane auf einem Papierblatt. Ich habe Durst und trinke nicht, ich bin mir die Mühe nicht wert. Genau wie die Zeit vorhin liege ich im Bett und frage mich, ob ich sterben werde. Die Dunkelheit drängt sich vor dem Fenster. Ich wünschte, ich könnte mehr aus mir machen. Aber bis zu den Sternen ist es weit. Mein Finger gleitet zwi-schen die Saiten einer Geige, mein Herz zwischen die Schulter, ich liege auf dem Meer. Es regnet, als wenn ich weinen würde. Mein Gesicht schreckt zusammen, ich fühle Tränen auf der Zunge. Ich friere, umschlungen von meinen Armen. Der Sinn entgeht mir. Aber es ist noch nicht alles verloren. Ich weiß das Gold aus den Sonnenblumen zu trinken, ich hatte schon immer einen Plan B. Wenn die Schattenpuppen anfangen zu tanzen, dann tanze ich mit, bis ich wieder lachen kann. Solange es noch weitergeht. Es ist ein Versprechen.
Wenn ich am nächsten Morgen die Welten gleichteilte und meine Finger sich in deinem Haar verfingen, und du meintest, deine ist breiter, wenn ich die Welten gleichteilte, mit den Augen verloren in deinem Blick, und du sagtest, deine ist sicherer, so rutschte ich zu dir rüber. Seitdem wir uns die Welt teilen und unsere Zehenspitzen es im Meer treiben, sagst du zu mir „Heim“ und ich meine es nur gut ...