Rezension zu Jenny Schon - Fragen bleiben ... vita variatur . von Maria Werthan


Fragen bleiben... vita variatur
Gedichte
von Jenny Schon
mit Collagen von Christine Lenz, Geest Verlag 2020, Preis 12 €


Gedichte, wer liest heute noch Gedichte? Oder brauchen wir gerade in Zeiten der Pandemie klare, eindringliche Worte? Könnte es sein, dass „…der lyrik im alter ist / die Erinnerung so / kostbar wie der Jugend die Träume…“? (Jenny Schon: Fragen bleiben… vita variatur, S. 129)

Manchmal kommen  die Worte auf leisen Sohlen und schwingen sich wie die Lerchen in den Himmel hoch zum Geist der großen Dichter und Künstler. Mit einer eigenen Hommage geehrt werden Rose Ausländer in Lorelei (Schon, a.a.O., S. 34/5), Paul Celan und Rainer Maria Rilke in „Schweigegewitter“ (Schon, a.a.O., S. 64),  Elke Lasker Schüler in „Den Sternen nahe“ (Schon, a.a.O., S. 76),  , Ingeborg Bachmann in „Am Ende bleibt Trauer“ (Schon, a.a.O., S. 83/4), Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven in „Mimesis“  (Schon, a.a.O., S. 8/9), die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexjewitsch „Mit Rosen gegen die Macht“ (Schon, a.a.O., S. 168)  und Friedrich Hölderlin mit der Nachdichtung „Von Klippe zu Klippe geworfen“ (Schon, a.a.O., Rückumschlag).

Jeder Tag kann ein glücklicher Tag sein. Für die Dichterin bedeutet das: „…glück ist / in beiden händen / blumen halten … ein gedicht lesen…“. (Schon, a.a.O., S. 128) Zum Weltglückstag am 20. März erinnert Jenny Schon an den Rechtskodex von Bhutan von 1729: „Wenn die Regierung kein Glück / für ihr Volk schaffen kann / dann gibt es keinen Grund / für die Existenz der Regierung.“ (Schon, a.a.O., S. 66) Es kann aber auch „ein ganz normaler tag“ von der Autorin geschildert werden, wo sie am Morgen die Alpträume in die Furchen ihres Teppichs vergräbt. Sobald sie das Fernsehen einschaltet, wird sie gewahr, „…es ist Krieg überall auf der welt / das wird wieder / ein ganz normaler / tag werden…“ (Schon, a.a.O., S. 88),  . Dieser Sprung vom belastenden Albtraum zum Unfrieden in der Welt charakterisiert die Vorgehensweise der Dichterin, selten bleibt sie im banalen Alltag verhaftet. Gekonnt schafft sie immer neue Perspektiven. Manchmal lenkt sie den Blick durch Perspektivwechsel zurück; weg von dem altersbeschwerten Hier und Jetzt zu den unbeschwerten Jugendtagen: „…schon wieder die Brille gesucht / die notwendig ist die liebesbriefe / zu lesen / damals als der / schmerz  das herz zuschnürte / aber nach ein paar Tagen / sich löste…“. (Schon, a.a.O., S. 135)  Die Liebe mit ihren Höhen und Tiefen beschwört die Poetin im „Salamanca“ (Schon, a.a.O., S. 26/7).   

Die Schriftstellerin sondiert die Veränderungen, die das Covid 19 Virus „kleiner als eine Laus… mordlustig“ (Schon, a.a.O., S. 38) im gesellschaftlichen und sozialpolitischen Gefüge verursacht - mit fatalen Folgen für viele Wirtschaftszweige und besonders für den Kulturbereich. „Die Häfen sind geschlossen / Die Welt ausgesperrt…“ (Schon, a.a.O., S. 45) „Ein künstler klagt nicht / ihm fehlt die farbe / Für seine bilder / Die die zeit einfangen / Die sängerin schweigt / Ihr aerosol schwirrt noch / In den konzertsälen / Die dichterin kaut Buchstaben“ (Schon, a.a.O., S. 22) Dabei fragt sich die Dichterin, Jenny Schon: „Will ich mit der Maske der Zeit… Will ich wirklich das…“ (Schon, a.a.O., S. 45)  Erleichtert nimmt sie die Rücknahme der alltäglichen Einschränkungen wahr: „Und sie schaukeln wieder“ (Schon, a.a.O., S. 127) „Endlich wieder Museum“ (Schon, a.a.O., S. 100/1) Aber nicht nur die Pandemie sorgt für Veränderungen, auch das Verhalten der Menschen gerät aus dem Gleichgewicht: „…heute werde ich was sagen / zu den Gewalttaten / die die Frau mit dem Rollator / auf der Straße vor / sich herjagen… am Mittag rast der Autofahrer / auf dem Zebrastreifen / auf dem Schulkinder gehen…“.  (Schon, a.a.O., S. 48)

Beeindruckende Naturbilder zeichnet Frau Schon in den Texten zum Riesengebirge mit der Schneekoppe: „…In die Eisenerde / Felsen zerbröckeln / Die Strohballen / Stolpern über / Brombeergestrüpp / Auf den Weiden / Ein leichtes Grün…“ (Schon, a.a.O., S. 70); „…Ein weißer Kegel / Blitze werfend / In die Schluchten…“. Im Jahreslauf folgen die Vögel den Gestirnen „…es wird sein wie immer / im frühjahr kommen sie zurück / ziehen über die stadt . / und wecken sehnsüchte…“ (Schon, a.a.O., S. 12) In der Natur wünscht sich die Autorin “…dem Himmel ganz nahe (zu sein) / Gott (zu) umarmen…“. (Schon, a.a.O., S. 121) Die Dramatik der Umweltverschmutzung geißelt sie in dem Gedicht „Ade“ „…die erde verabschiedet sich / sie braucht uns nicht… die schöpfung / braucht uns nicht“. (Schon, a.a.O., S. 103) Den gefährdeten Baum ermutigt sie: „…Stirb nicht Baum / Wenn der Ruß dich befällt / Trockenheit dich beutelt… /  ich bin dein Gefährte / Umarme dich…“ (Schon, a.a.O., S. 11)

Den Frauen schreibt Jenny Schon ins Stammbuch: „…erinnere dich mädchen / dass du fliegen kannst…“. (Schon, a.a.O., S. 16) Sie zweifelt daran, „…dass mädchen doof geboren / und dehalb nicht auf die / höhere schule durften…“. (Schon, a.a.O., S. 154) Den Frauen traut sie zu, dass sie die Welt friedlicher gestalten. Denn „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht… / Der Widerstand aber ist weiblich / Frauen in Belarus / gegen den Titanen…“.  (Schon, a.a.O., S. 168) Frauen sind die Vorreiterinnen im Kampf für Frieden, wie Bertha von Suttner und Frauen heute, die wie Greta für saubere Luft und Wasser auf dieser Erde kämpfen. (Schon, a.a.O., S. 50-52)  Trotz hundertjährigem Kampf für Frauenrechte „Die Kante im Kopf / lässt Menschenrechte / für Frauen nicht zu… Gleicher Lohn für / gleiche Arbeit… / ist immer noch Utopie“. (Schon, a.a.O., S. 50-52)

Mit ihren heute von Arthritis geplagten Händen reiht sich die Schriftstellerin ein in die Reihe ihrer verstorbenen Familienmitglieder; die filigranen Finger vom Opa, die rauhen Schrubber- Hände der Oma, die schweren Arbeitshände vom Vater und die flinken Hände der Mutter. Ihrer aller Leben und die Orte ihres Wirkens prägen die Lebens-Landkarte von Jenny Schon.

Virulent bleiben die Fragen wie „…spuren im gras…“ (Schon, a.a.O., S. 10). Sie brennen sich ein in das Bewusstsein der Autorin, die nach der Gewissheit ihres Seins sucht: „ich flamme… / … die weisheit ist / die möglichkeit zu wissen / ob ich war…“ (Schon, a.a.O., S. 21)

Der Dichterin ist die Schlagkraft ihrer Worte voll bewusst: „am Tag meiner Wortgeburt / wurde Sprache / mir geschenkt… / zu zürnen / den Formhaften / die Widersprüche zementieren / meine Lichtzungen suchen / Wahrheiten meine Reißzähne / zerfetzen die / Worthülsen von /  den Erbsenzählern“. (Schon, a.a.O., S. 125) Groß- und Kleinschreibung werden von der Autorin eigenwillig eingesetzt. Sie bringt die Schreibweisen in Beziehung zu den Textaussagen und unterstreicht damit die Bedeutung des jeweiligen Ausdrucks oder der Aussage. Die Gedichte von Jenny Schon werden durch die ausdrucksstarken Collagen von Christine Lenz untermalt. Diese wirken durch die klare Linienführung und die sparsame Farbgebung elegant und beschwingt.

Die Lyrik von Jenny Schon ist keine romantische Poesie zum Träumen. Nein! Sie ist herausfordernd und aufreibend zugleich. Denn Glück und Leid, Licht und Dunkelheit gehen ineinander über wie Sonne und Regen an einem stürmischen Apriltag.