20.09.2022 - aktuelle Autorin -Anne Rakel

 

Anne Rakel lebt und arbeitet seit 2011 in Oldenburg, ist seit 25 Jah­ren verheiratet, mag alles Mensch­liche und spielt gern mit den viel­fältigen Möglichkeiten von Wort und Humor. Als Geisteswissen­schaftlerin und Pädagogin weiß sie um die Bedeutung von Sprache für soziale Interaktion und die Her­stellung von Wirk­lichkeit.  
Veröffentlichungen: Valeria und Marie (2018); Mehr von Valeria und Marie (2019); Valeria und Marie gehen ihren Weg (2020); Das Märchen vom kaltherzigen König (2020).

Im Geest-Verlag erschienen:

Ein Leseausschnitt aus der Sammy
 
Paula und ich

Jetzt endlich mal zu Paula und mir. Wir sind das super Team. Superteams können sich lieb haben, streiten, verschieden denken und trotzdem in die gleiche Richtung ge-hen. Mit einem Superteam bist du unangreifbar. Paula und ich kennen uns seit der 9ten. Musik und Kunst wurden zu-sammengelegt und da trafen wir uns. Ich fand Paula cool. Sie war anders als die anderen Mädchen. Sie war irgendwie viel mehr sie selbst. Eigener. Und sie kann super singen und malen. Paula kann eine Hand zeichnen, die aussieht wie echt. Oder ein Tier. Krass. Sie kann auch einen Van Gogh abmalen. Fast besser als der Echte. Und nebenbei: Paula sucht wie ich schon ewig nach dem perfekten Satz. Krass, oder? Kennt ihr auch eine, die nach dem perfekten Satz sucht? Schätze: totale Fehlanzeige. Die meisten tippen sich eher an die Stirn. Was soll das auch bedeuten: ein perfekter Satz? Für uns viel. Für uns die Suche des Lebens. Also auf quasi geistiger Ebene. Wir wollen den perfekten Satz ja nicht heiraten. Ist halt unerklärbar. Ein Satz, der eben alles enthält. Ich habe ein Buch, in das ich gute Sätze schreibe, wenn ich einen finde. Das Buch ist schon echt voll. Aber der beste Satz der Welt ist noch nicht dabei. Paula hat ihn auch noch nicht gefunden. Also falls dir einer über den Weg läuft, scheu dich nicht. Was wir tun, wenn eine von uns ihn tatsächlich gefunden hat? Tja, das wird spannend.
Wir haben jedenfalls schnell kapiert, dass wir ein perfektes Team bilden, so wie wir sind. Wir haben unseren eigenen Kopf und den trauen wir uns auch zu benutzen. Deshalb kracht es immer wieder mächtig zwischen uns, bringt uns aber nicht auseinander. Wir können nämlich über alles re-den. Das ist nicht normal. Normal ist, dass Leute sagen, sie könnten mit XY über alles reden, und wenn du sie dann be-obachtest, stimmt es nicht. Sie tun nur so als ob. Wir fragen uns oft, warum wohl. Es ist doch ganz einfach. Das Schwere ist oft ganz einfach, wenn man es genauer betrachtet. Paula und mich interessiert alles, was um uns los ist. Über unsere Fragen können wir stundenlang diskutieren. Und es gibt ein konkretes Erlebnis mit Paula, da ist sie in mein Herz geplumpst. Als Paula aufgestanden ist, als alle über Jupp gelacht haben, die ganze Klasse, laut und hässlich, und sie gebrüllt hat, wie scheiße sie das findet, fast gebellt vor Zorn. Und wie Jupp aufgeschaut hat. Mit welchen Augen. Und wie sie sich mit lautem Krach neben ihn gesetzt und seine Hand genommen hat. Und wie Jupp sie angesehen hat. Und als dann alle anderen die beiden gesehen haben, ihr Gelächter verstummt, da habe ich sie auf Anhieb fest in mein Herz geschlossen. Super, Paula! Genau so. Und als ich unserem Lehrer einfach nicht mehr durchgehen ließ, wie er ständig die gleichen runtermachte und sich über deren Schwächen köstlich amüsierte, und ihn aufforderte, uns alle mit gleichem Respekt zu behandeln, statt so scheiße drauf zu sein, von wegen Vorbild und so, schnellte Paulas Arm hoch, ihre Hand machte das Zeichen: Victory, Babe! Zeig’s ihm! Seither sind wir ein Team. Ob wir uns auch gefunden hätten, wären die Kurse nicht zusammengelegt worden, weiß man nicht. Und vieles in unserem Leben wäre kom-plett anders gelaufen, wenn es uns nicht so gäbe, wie es uns eben gibt. Es ist komisch, manche Leute kennst du jahrelang, gehst mit ihnen zum Sport, Fußball, Breakdance, sitzt neben ihnen in der Schule, wohnst in derselben Straße, und sie kommen dir nicht wirklich nah. Es passiert nicht, dass sie für dich besonders werden, wichtig, vertraut. In deiner Familie ist es so, dass alle miteinander vertraut sind, logisch, man kennt sich ja ewig. Du weißt, wie sie Dinge tun, wie sie riechen, was sie wann sagen, es ist vertraut, ohne dass ihr alles teilt oder besprecht. Weil ihr schon immer zusammen seid. Mit Paula war ich nie immer schon zusammen und doch fühlt es sich so an. Oft, wenn Paula und ich nicht wei-terwissen, schreiben wir. Schreiben ist von außen nach innen kommen und von innen nach außen. Manche schreiben und finden dabei Stücke von sich selbst wieder. Und wenn sie wieder mit etwas hadern, nehmen sie Buchstaben und bauen Worte um sich herum. Und aus den Worten pflastern sie einen Weg. Über den können sie dann spazieren gehen. Auch Paula und ich sind manchmal besser auf dem Papier darin, ganz ehrlich zu sein. Auf dem Papier sind die Dinge meistens schon geschehen, wenn man drüber schreibt. Na, jedenfalls. Schreiben kann eben ganz viel.
Wir hängen auch mit anderen Mädels und Jungs rum, sind dabei, wenn es ums Wochenende geht, Party machen, am Fluss rumhängen, aber da sind Unterschiede. So wie am Anfang von Unterschieden die Rede war. Paula war auf einmal da. Vertraut und da. Wie ein Mensch, der in dein Herz plumpst. Das tut der Mensch nicht, weil er durch die Gegend fliegt und einen Landeplatz sucht; das plant dein Herz auch nicht, weil es grad Langeweile oder Lust auf Besuch hat – nein. Das geschieht mitten am Tag, einfach so, wie ein Wunder. Schön, oder?
Ich weiß noch, wie anders das mit Mimmy war. Ganz an-ders nämlich. Mimmy war cool drauf, lustig, gescheit und konnte viele Sachen richtig gut. Aber sie konnte es voll nicht haben, wenn auch andere Sachen richtig gut konnten. Am wenigsten, wenn die Sachen gut konnten, die Mimmy selbst richtig gut konnte. Hab ich nie kapiert. Was soll daran schädlich sein, wenn zwei Leute dieselben Sachen eben rich-tig gut können? Kommt mir wie ein Vorteil vor. Mimmy nicht. Die Stimmung wurde von einer Millisekunde auf die andere so feindlich, wie wenn der Bär den Jäger trifft und nur einer kann überleben. Ihre Stimme wurde spitz und ihr Mund wurde kleiner und kleiner wie ein Luftballon, dem die Puste ausgeht. Und dann musste sie was kaputt machen. Bevor es sie kaputtmacht. Gäb’s bei Paula und mir nicht. Wir sind schon groß. Zwei sind besser als eine. 1 und 1 ist 2 und nicht 1. Bei Mimmy ist 1 und 1= -1. Weil dann von 1 nix mehr übrig ist (Mathe-Freaks unter euch können jetzt auch bei „Reli und Mathe“ weiterlesen). Weil der Jäger den Bär kaltmacht, obwohl der Bär nur mal gucken wollte. Unsere Kleinste aus dem Jahrgang, Kathi, hat sich an Paula übri-gens ein Beispiel genommen. Ich sag’s ja: So was können Gedichte! Die kannst du jemandem ins Gesicht werfen oder jemandem ins Herz legen oder dich selbst dabei entdecken. Also. Kathi, unseren Spatz, hatte die Sache mit Paula und Jupp schwer beeindruckt. Das war ein Aha-Erlebnis der besonderen Art. Aber nicht nur das. Kathi war winzig, höchstens 1,60 m und hatte echt Scheiße an der Backe. Ihre Eltern waren getrennt, und zwar nach allen Regeln der Nicht-Kunst. Mit fettem Anwaltsstreit und allem Pipapo, Rosen-krieg in Höchstform, und sie musste bei Verwandten woh-nen. Ihre Mom nervlich am Ende und ständig in einer Klinik, ihr Pa am Tropf, Alkohol, sein Sanitäter. Kathi also lange bei denen. Bis mal irgendwann klar war, dass sie da nicht blei-ben darf, weil ihr Onkel nicht kapiert hat, wo seine Hände nicht hingehören. Und die Tante das auch kapiert hat. Also Tante weg von Onkel, Kathi weg von beiden und ab in eine Wohngruppe. Und da kam Kathi so richtig in Fahrt, super, volle Kraft voraus! Seit sie in dieser Gruppe wohnte, wuchs sie mit jedem Tag über sich hinaus. Gefühlt muss sie inzwischen größer als 1,70 m sein. Das ging damals so: .....