Günter Berger beeindruckte mit seiner Premiere von Vaters Kalikukafranz' im Theater Neerstedtam Sonnatg

Erinnerungen eines Individualisten

 

Prof. Günter Berger stellt Autobiografie vor – Szenenspiel und Musik

Fast 600 Seiten hat „Kalikukafranz“. Szenenspiel und Auszüge machten neugierig auf das Werk.

Neerstedt Uraufführungen sind für den Dötlinger Prof. Günter Berger beileibe kein Neuland mehr. Doch die Premiere am Sonntag dürfte auch für den erfahrenen und vielfach ausgezeichneten Komponisten, Organisten, Lehrenden und Essayisten, Jahrgang 1929, ein besonderes Erlebnis gewesen sein: Erstmals präsentierte er sein erstes eigenständiges literarisches Werk, „Vaters ,Kalikukafranz’“ – erst punktgenau zur Autorenlesung auf der „Neerstedter Bühne“ gedruckt. Eine Autobiografie, die blitzlichtartig Momente seiner Lebensgeschichte beleuchtet – „autobiografische Bilder“ nennt Berger selbst die gewählte Form mit wenige Seiten langen Einzelkapiteln.

Diese Momentaufnahmen „Vom geheimnisvollen Werden“, dem Anfang seines Seins, bis zum Epilog fügen sich auf annähernd 600 Seiten zu einem Gesamtbild des Menschen, Musikers und Künstlers zusammen. Gleichwohl bleibt ein Stück Rätselhaftes: Es gehe um Annäherung an diese vielschichtige Persönlichkeit, erklärte Verleger Alfred Büngen vom Geest-Verlag in seinen einführenden Worten zur Autorenlesung: „Einen Professor Berger kann man nur fühlen und ahnen.“

Mit der retrospektiven Darstellung seines Lebenslaufes reiht sich der 84-Jährige ein in einen wachsenden Kreis Prominenter, die mit ihren Lebenserinnerungen – mitunter noch in jungen Jahren – auf den boomenden Sachbuchmarkt strömen. Prof. Berger aber hat wirklich etwas zu sagen. Er rekonstruiert, beschreibt, deutet und bewertet, bindet sich zugleich als Individuum auch ein in die Hintergründe des Zeitgeschehens. Da ist Berger als Steppke auf dem oberschlesischen Hof des Großvaters oder als Junge in Nazi- und Kriegszeit beim Sammeln für den „Eintopf-Sonntag“ oder beim Panzergrabenschaufeln („Ich musste marschieren und mein Gehirn verlangte nach anderem“), da ist Berger auf Reisen in vielfältige Kulturen, und natürlich Berger in Betrachtung von Musik und Kulturbegriff: „Eine Welt ohne Musik gibt es für ihn nicht“, betonte auch Büngen.

Und so fehlte auch bei der Lesung am Sonntag die Musik nicht. Mehr noch: Gemeinsam mit der Sopranistin Elisabet Muro führte Berger – selbst am Piano sitzend – erstmals die Gesangsfassung einer Gedichtsequenz auf, in der er im Angesicht einer schweren Erkrankung die Liebe zur Partnerin und Sorge umsetzt in Wort und Klang.

Unterstützung auf der Bühne hatte der Dötlinger auch durch seinen Sohn Michael am E-Piano sowie Gertje Kollmann, Reinhard Rakow, Sibylle Rob und Ulrike Wieters-Wilcke bei szenischen Darstellungen von Ereignissen seines Lebens – etwa als Junge im geistigen Klima der Nazizeit.

Schon früh hatte Berger seine eigene Sicht der Welt, entdeckte das von den Eltern eigentlich als „brotlose Kunst“ gesehene Klavierspiel für sich, wollte Stücke des von den Nazis verbotenen, aber für ihn „herrlichen Felix Mendelssohn-Bartholdy spielen“. Eben ein „Kalikukafranz“, wie ihn der Vater einst liebevoll nannte – ein neugieriger Individualist oder, wie es Büngen formulierte, „kreativer Kopf, der nicht ins Weltbild passt“.

Eineinhalb Stunden szenische Lesung, die mit viel Applaus von den voll besetzten Rängen belohnt wurden und neugierig machten aufs Gesamtwerk „Kalikukafranz“, erschienen im Geest-Verlag und entstanden mit Unterstützung von Gemeinde, Dötlingen-Stiftung und Sponsoren.