Geht in Arbeit - Die Tagebuchaufzeichnungen des Paul Meinheit

Paul Meinheit ist 1869 geboren und 1952 gestorben. Er hat während seiner Reisen mit dem Schiff regelmäßig Tagebuch geführt und dieses Tagebuch irgendwann redigiert. Dann ging dieses Tagebuch irgendwie in seinem nachlass unter, bis es jetzt wieder entdeckt und noch einmal überarbeitet veröffentlicht wird.

Vorwort

 

Wohl in keinem Beruf gestalten sich, allgemein gesprochen, die Lebensschicksale eines Menschen viel­seitiger und ereignisreicher, wechseln Freud und Leid, Regen und Sonnenschein, überhaupt alle Lebensbedingungen schneller und eindringlicher, als in dem eines Seemanns. Allerdings gibt es unter uns Seeleuten auch viele, sehr viele, die in ihrem Beruf grau geworden sind, ohne irgendetwas erlebt, etwas erreicht zu haben. Ihnen geht es aber wie vielen Erdbewohnern: Sie stolpern beruflich dahin, ohne sich bewusst zu werden, dass dem Menschen von der Natur Sinne beschert wurden, welche ihn befähigen sollen, die Umwelt mitzuerleben und sich dadurch über Tier und Pflanze zu stellen.           

Wenn ich erst heute auf der Höhe des Lebens beginne, aus meinen vielen Aufzeichnungen diese Blätter zusammenzustellen, so geschieht dies aus mehrerlei Gründen. Noch bis in die letztvergangenen Jahre reihten sich die Ereignisse und Bilder so schnell aneinander, war in allem Erleben so etwas Neues, dass ich mich nicht getraute, so unvoreingenommen ruhigen Sinnes darüber zu berichten, wie es sich für eine aufrichtige Chronik geziemt und welche nur erst dann möglich ist, wenn die überschäumende Jugendkraft eingedämmt, die vieles erhoffenden Mannesjahre, sagen wir bis 30, vorüber sind – mit einem Worte: Herz und Seele zur Ruhe gekommen sind. Denke ich über einzelne Episoden aus meinem Leben nach, mit wie anderen Augen sehe ich dieselben heute an als damals, wo dem Verstande die Menschenkenntnis mangelte, wo oft unbedeutende Dinge zum Ereignis wurden.

Wohl mancher, welcher dereinst in diesen Aufzeichnungen zu blättern beginnt, wird verständnislos den Kopf schütteln und sich sagen, dieser und jener wäre wohl besser ungeschrieben geblieben, aber ich habe mir versprochen, an Hand meiner Erlebnisse auch mich möglichst treu zu zeichnen; und so darf sich der Leser nicht eher ein Urteil bilden, bevor er zum Schlüsse dieser Aufzeichnungen gekommen ist.

Bedenkt: Jeder Mensch ist in seinem Denken und Handeln mehr oder weniger ein Produkt der Umwelt, welches seine Sphäre bildete, und unter diesem Gesichtswinkel muss vieles betrachtet und wie ich erwarte, wohlwollend beurteilt werden. Wenn ich mir reichlich überlege, wie bist du den Geistes- und Charakteranlagen nach das geworden, was du bist, so komme ich zu der sicheren Überzeugung: Anlage und Charaktereigenschaften meiner Vorfahren, gut oder böse, lagen fest vererbt als noch ungefügte Bausteine im schlummernden Bewusstsein , als ich das Licht der Welt erblickte. Der Lebenskreis, in welchen ich durch das Schicksal hineingezogen wurde, ordnete diese Bausteine; viele eigneten sich wohl für das entstehende Gebäude, viele waren untauglich und zerbröckelten.

Ergo: die von den Vätern ererbten, durch die Lebensumstände verwelkten und zur Reife gelangten Anlagen formen den Menschen.

 

Paul Meinheit