Jenny Schon - Gedichte gegen den Krieg

Jenny Schon    

Orte der Erinnerung
Zum 11. Juli 1995
Srebrenica

Seit tausenden jahren
Sticken frauen an stillen abenden
Tränen in  tücher
Mit dem blut
Der erinnerung an ihre
Söhne und männer und väter
An ihre brüder

Seit tausenden jahren
Knieen sie nieder
Vor gräbern ohne wissen
Um die gebeine
Sie sticken namen
Gegen das vergessen

Seit tausenden jahren
Bleiben frauen zurück
Geschändet
Sie sticken für die hoffnung
Immer wieder
Leben…

 

Jenny Schon

Tahrirplatz  - Platz der Befreiung 

Männer haben den Platz geschaffen
In Jahrzehnten sich zu befreien…
Tahrir - Platz der Befreiung
Sie haben die Freiheit
Aus der Menge
Eine Frau zu zerren
Die auch demonstriert für Freiheit
Schleifen sie über Asphalt
Kreuzigen die Arme
Trampeln auf ihren Händen
Zerrreißen ihre Kleidung
Die Unterwäsche wird herumgereicht
Die Frau auch…
Sie war noch Jungfrau

Es passiert täglich
Sex ist Macht
Krieg gegen Frauen
Es sei der Mob
Wird gesagt
Väter
Brüder
Gatten
Söhne
Die nach dem Abendgebet
Ihren Auftrag erfüllen
Im Namen Allahs
Die Männerordnung zu
Bewahren
So ganz ohne Bakschisch

Orientalische Plätze
Sind keine Frauenplätze
Ihre Befreiung hat keinen
Öffentlichen Ort
Freiheit ist kein Frauenwort
Hinter dem Vorhang von
Jahrtausenden haben sie die
Aufgabe Söhne zu gebären

Und doch kommen sie
Ungerufen jeden Abend
Auf den Tahrirplatz
Töchter
Es sind auch Brüder darunter
Väter
Söhne
Gatten
Sie halten sich an den
Händen
Schützen die Frauen
One Billion Rising

 

Eine deutsche Zählung

Das Krückenmännlein
Zum 9. November 1918

Für meinen Opa Rudolph Schwantner –
Geboren 4.8.1898 in Marschendorf/Riesengebirge

O Papa was humpelst’
Denn
Das ist der Rübezahl
Mei Madla mein Kind
Aber Papa ich seh
Dich doch
Laufen mit
Dem Krückstock
Hinauf hinauf
Hast’ gerufen
Das weißt du doch

Es ist der Wind
Der Wind
Mei Madla mein Kind
Der hat gerufen
Der hat mich gelockt
Was hat er versprochen
Der Wind  O mein Papa

Lorbeer’n hat er versprochen
Mei Madla mein Kind
Und Ehr
In Hülle und Fülle
Ach da werden wir
Doch nicht satt davon
O Papa
Wir wollten doch in
Die Beeren geh’n so
Süß wie Honig
Und in die Pilze und hinauf
Auf die Schneekoppe
Zu schaun ins Land

Mei Madla mein Kind
Da weht der Wind da
Herrscht der Rübezahl
Da wachsen keine Beeren
Da locken keine Pilze
Der Kaiser hat sie
Geraubt
 Der Kaiser
Mei Madla mein Kind
Und mit ihm mei Ehr
Die Lorbeer’n
Schmücken die Gräber

Ach Papa ach Papa
Mei Madla mein Kind
Es ist der Wind
Nur der Wind
Der heult
Die Tränen versiegen
Die Lorbeer’n vertrocknen
Du wirst leben
Mei Madla mein Kind
In Frieden wirst’ leben
Mei Annele

 

Jenny Schon

Novizinnen
Zum 9.11.1938

Für meine Mutter Anna Schwantner – 
geboren 4.4.1922 in Trautenau/Böhmen

Hörst du
Annele die
Deutschen kommen
Laß uns gucken gehen

Was gibt’s denn
Louisa
Zu gucken
Wenn Deutsche kommen

Sie kommen
Mit Glanz
Sie kommen mit
Licht Annele
Laß uns das sehn

Aber dunkel ist es schon
Louisa und wir sind
Jung so viele
Männer zu
Nachtschlafender
Zeit

Das sind Deutsche
Annele Deutsche
Wie wir
Die werden uns
Nichts tun

Was ist das
Louisa
Das Feuerbrausen
Das gleißende Licht
Der Rauch frißt
Meine Stimme

Dann schweige auch
Du Annele und schau
In das Feuer
Das Licht in der
Novembernacht

Oh Louisa
Da brennen Menschen
Die Synagoge brennt

Annele halte mich fest
Auch ich frier
Bei all diesem Lodern

Verschwindet ihr
Mädchen das ist nichts
Für Euch
Ein Bewaffneter schiebt
Die Weinenden beiseite

Geht heim und
Wartet bis ihr
Deutsche Mütter seid
Dann werdet ihr Dank sagen

An einem späteren
Novembertag fällt eine
Bombe
Die für Dresden bestimmt war
Auf Trautenau

 

Jenny Schon

Kindersorgen

Wer wird auf meinem töpfchen sitzen
Oma macht mich stubenrein
Das messerchen madla, versteckok
Bei gewitter, der rübezahl ist ein dieb
Der holt nicht nur kleine mädchen
Er hat auch freud  an gold und silber

In meinem bettchen liegt ein ander kind
Hat mein hemdchen an und nuckelt
Am deckchen das oma bestickt
Rübezahl nimmock dieses kind
Es wird dich krakonosch nennen
Und wohnt jetzt hinter meiner haustür

Es darf mein messerchen nicht
Berühren seine babicka passt auf
Es darf mein töpfchen nicht benutzen
Es macht in windeln noch
Und schaut zu meinem papa
An der wand das foto durfte
Mutti nicht entfernen
Es zeigt einen schicken soldaten

Sie holt den kinderwagen
Der  uns geblieben und
Ein kissen für mich versteckt
Hat sie den goldnen Ring
Und mit dem pelzmantel mich
zugedeckt das ist unsere habe

Der Krieg ist zuende
Sagt sie und weint
Wir müssen fort, wohin?
Der Vati ist verschwunden
Wenn du ihn siehst
Rübezahl zeigt ihm den Weg

Die Sonne brennt im Juli 1945 
Rübezahl und paß auf
Das kind in meinem bettchen
Schläft…

 

Nornen
9.11.1945

Schneevögel sirren
Vor dem Fenster
Im Keller
Hackt Mutti Holz
Das wir aus dem Wald
Zerrten

Horschok Madla
Ob die Grenzer kommen
Mutti hatte Schweiß auf der
Stirn
Paß auf Madla paß auf
Die ham uns nausg’schmissa
Daß wir nicht
Denen zu nahe komm’n

Schneevögel sirren
Ich öffne das Fenster
Ein erster Frost
Streift meine Wangen
Ich zittere

Horschok Madla
Horschok da kommt
Einer hörst Du’s
Der Wind Mamma
Der Wind
Der streichelt mich
Ich höre Schritte
Mein Kind

Schneevögel sirren
Mamma sie singen
So schön wie der Wind
Hör auf mein Kind
Hör auf die
Nornen singen
Dich in den Tod

Oh Mamma nu horschok
Auch du – da singt der
Onkel vom Figaro
Wie dahoime bei
Rüvazohl
Hab ein Lieb verloren
Und gewonnen dich

Der Wind lockt
Die Fensterläden
Sirren Schneevögel
Stieben über die Heide
Das Lied Mamma das Lied
Der Onkel singt
Ich springe
In seine Arme

Hab ein Lieb verloren
Und gewonnen dich
Jetzt geh’n wir
Aber schnell nach
Hause zu deinem Papa
Den die Amerikaner
Freigelassen haben

Drei Menschen
Vermummt schieben den
Kinderwagen mit Bettzeug
Im fernen Rheinland
Ein Sonnenuntergang
Das ist unser
Ziel