Mascarade - Nobert Büttners dritter Erzählband im Geest-Verlag geht in Arbeit

Der nunmehr dritte Erzählband von Norbert Büttner im Geest-Verlag geht nun in die lektorale Arbeit

Norbert Büttner

Mascarade

Erzählungen

Geest-Verlag 2016

 

Dezember

Mit einem Ruck blieb die U-Bahn stehen, die Türen sprangen stöhnend auf und wie schwarze Körner aus einer Büchse fielen Menschen auf den schmutzigen, nassen Bahnsteig, wirbelten um sich selbst und eilten den Ausgängen zu. Frostklare Luft schnitt die erregten Gesichter. Und wie eine tiefschwarze Zeltplane, in die viele bunte Lichter hineingesteckt sind, lag der Abend über dem Weihnachtsmarkt.
Sie war so müde und trieb wie Bruchholz im Strom. Ihr Kopf schmerzte, wenn Lärm an ihn schlug. Immer noch toste in ihr wie ein Gewitter, das nicht abziehen will, die Schule – das Schreien und Toben der Kinder, die ungezügelte Kakofonie ihrer Handys ...
Die blinkende Beleuchtung der Buden und Karusselle stach ihre Augen. Wenn die Lichter sich bewegten, miteinander tanzten, sich mit den Karussellen hinauf-schwangen und wieder zersplitterten, wurde ihr fast schwindlig. Es roch nach Glühwein und nach fettem Schweinefleisch, in ranzigem Öl gebraten. Sie musste sich zwingen, die Augen aufzuhalten. Wie entriegelte Fensterläden wollten sie immerzu zufallen. Neben ihr kreischten Mädchen, schmerzhafte Sirenentöne – es war wie ein Anstoß, der sie in ungeordnete, schnelle Bewegung versetzte. Als wäre sie eine Billardkugel glitt sie über den Platz, vorbei an den Menschen, schwarz wie Schatten, deren Berührung sie vermied, drehte sich im Kreis und rollte an einem Imbiss aus.
Sie starrte auf die Auslage und versuchte, die wirren Muster in ihrem Kopf zu ordnen.
Der Verkäufer, dem das zu lange dauerte, schrie plötzlich: „Wollen Sie nun was? Die Füße können Sie sich woanders platt stehen.“
Erschrocken verlangte sie Glühwein. Der Plastikbecher verbrannte ihre Hand. Sie stellte ihn auf einem Steh¬tisch ab. Der Glühwein glich einem schwarzen Auge, in dem wie eine goldene Pupille das Spiegelbild der Glühlampe, die über ihrem Kopf hing, leuchtete.
Jemand rempelte sie von hinten an, eine Bierflasche sprang auf den Tisch.
Sie fauchte wie eine Katze und drehte sich zur Seite.
Eine Wolke aus Tabak- und Alkoholgeruch senkte sich auf sie. Der Mann, zu dem sie gehörte – ein großer Kerl mit Seehundbart, in dem winzige Tropfen wie Perlen hingen – lachte ein sattes Lachen.
„Nun mach dich mal nicht so breit!“, rief er. „Wir können hier noch gut kuscheln.“
Der Becher flog in den Abfalleimer. Erneut rollte sie wie eine Billardkugel durch die Menge.