NWZ berichtet über die Buchpremiere 'Flucht aus Afrika' der Oberschüler aus Berne

Typische Schicksale junger Afrikaner
Neuntklässler der Oberschule Berne veröffentlichen Buch über Flüchtlinge – Premiere mit Lesung in der Mensa

DIE OBERSCHÜLER AUS BERNE VERSETZTEN SICH ANHAND VON BIOGRAFIEN IN DIE ÄNGSTE UND WÜNSCHE JUNGER AFRIKANISCHER FLÜCHTLINGE UND SCHRIEBEN DARÜBER EIN BUCH. AM MITTWOCH WAR IN DER MENSA PREMIERE VON: „FLUCHT AUS AFRIKA".

von Georg Jauken

Der auf Ihrer Homepage abgedruckte Artikel und das Foto stammen allerdings aus dem Weser Kurier vom 30. September 2017 (Lokalausgabe: DIE NORDDEUTSCHE, Seite 9)

Einen weiteren Artikel gibt es hier

https://www.nwzonline.de/wesermarsch/kultur/berne-buecherwochen-projekt-...

Berne.
Amaru Okoye, Seydou Coulibaly, Noara Choukri. Ihre Namen stehen für typische Schicksale junger Afrikaner. Die Neuntklässler der Oberschule Berne versetzten sich in ihren Alltag vor, auf und nach der Flucht. In einem mehrtägigen Workshop entwickelten sie 2016 literarische Texte, in denen sie von den Überlebensstrategien, Ängsten und Träumen der jungen Afrikaner auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft erzählen. Daneben spielt die Sorge um die zurückgelassenen Eltern, Brüder, Schwestern und Freunde eine große Rolle. Was würden Amaru, Seydou, Noara und die anderen ihnen schreiben, wenn sie könnten?
Premiere in der Schulmensa
Die Schüler besuchen inzwischen die Klasse zehn und das Ergebnis ihrer Arbeit ist nun zu den sechsten Berner Bücherwochen unter dem Titel „Flucht aus Afrika" als Buch erschienen. Am Mittwochabend gab es zur Premiere eine Lesung in der Schulmensa. Kaum hat sie begonnen, prasseln die so fremd klingenden Namen wie Amaru, Seydou, Noara oder auch Dahlak samt ihrer Schicksale von allen Seiten auf das Publikum ein. Die Schüler haben sich direkt unter das auf eine kleine Bühne in der Mitte ausgerichtete Publikum gemischt und sorgen damit für eine dichte, intensive Atmosphäre. Das Schicksal etwa des 16-jährigen Dahlak aus Eritrea dringt ganz nah ans Publikum heran. Noch steckt Dahlak auf der Flucht in Kroatien fest, hat nichts mehr zu essen und zu trinken. „Deutschland ist schon ganz nahe", haben ihn die Schüler in sein Fluchttagebuch schreiben lassen. Wie er es bis dort hin schaffen soll, weiß er nicht.
Auch die 15-jährige Noara aus Marokko steckt in einem handfesten Dilemma. Obwohl ihre Familie all ihren Besitz verkauft hatte, reicht das Geld nicht für die Überfahrt nach Europa. Noara findet jemanden, der ihr etwas borgen will, denn sie ist jung und schön. Um das Geld zurückzahlen zu können, bleibt ihr nur die Prostitution. Doch wie soll sie ihren Eltern jemals wieder gegenübertreten? Am Ende hält Noara die Scham nicht aus und nimmt sich das Leben.
In anderen Geschichten werden die „Helden" zu Drogendealern und Dieben. „Ich muss jemanden ausrauben, um zu überlegen", heißt es in einem der Texte. Es sind die Überlegungen eines jungen Mannes, der selbst ausgeraubt wurde und dem nichts geblieben ist. „Ich tue es für meine Familie." Er habe geglaubt, viel über Flucht und die Fluchtursachen zu wissen, bekennt Herausgeber und Verleger Alfred Büngen vom Geest-Verlag in Vechta. Als sich die Jugendlichen während des Workshops überlegten, die Protagonisten ihrer Geschichten könnten sich beispielsweise mit Prostitution Geld für die nächste Etappe Reise nach Europa beschaffen, habe er doch etwas hinzugelernt. „Man kann kaum ein guter Mensch bleiben auf der Flucht", sagt Büngen.
Armut und Kindersterblichkeit
Zwischendurch erklimmen Emke Schierenstedt, Lars Conze-Wichmann und Luka Sawilla abwechselnd die Bühne. Auch sie haben an den Texten mitgeschrieben. Während der Lesung steuern sie Hintergrundinformationen zu den Herkunftsländern von Sierra Leone im Westen bis Eritrea im Osten Afrikas zu der Lesung bei. Darin geht es um die Lebenserwartung von mancherorts unter 50 Jahren, um Armut und Kindersterblichkeit, um die Verfolgung von Minderheiten, Ausbeutung und Krieg. Als von Massenentführungen durch Terrorgruppen wie die Boko Haram in Nigeria und dem Versagen der Behörden bei der Verfolgung des Unrechts die Rede ist, bittet Lars Conze-Wichmann alle Mütter und Väter im Publikum aufzustehen. „Stellen sie sich vor, ihre Kinder würden alle entführt."
Die Schüler lassen ihre Helden auf der Flucht ebenso leiden wie auf eine bessere Zukunft hoffen. Gleich mehrere möchten Fußballstars werden wie Miroslav Klose oder Dribbling-König Ronaldinho, eine junge Frau hofft auf eine Gesangskarriere wie der von Adele. Doch die meisten von ihnen haben nach den Vorstellungen der Oberschüler große Sorgen. So wie Amaru Okoye aus Nigeria. Nachdem sein Vater bei einem Bombenanschlag der Boko Haram getötet wurde, machte sich der 17-Jährige auf den Weg nach Europa. Er hofft auf Asyl und eine Arbeit, um Mutter und Geschwister unterstützen und vielleicht nachholen zu können. Ein anderer ihrer „Helden" hat sich gemeinsam mit dem Bruder auf den Weg gemacht. Der Bruder ist auf dem Weg übers Mittelmeer ertrunken. Nun ist er allein.
Die Geschichten in „Flucht aus Afrika" leben vom Einfühlungsvermögen der jungen Autoren. Entstanden sind Figuren mit den typischen Sehnsüchten und Wünschen ihrer Generation. Die Geschichten sind nicht im eigentlichen Sinne wahr, aber sie könnten wahr sein. Ihr Ausgangspunkt: zusammengestellte biografische Daten. Schon bei der Eröffnung der Bücherwochen hatte Büngen darauf hingewiesen, wie sehr ihn die Schüler mit ihrer engagierten Arbeit beeindruckt haben und ihnen die Hälfte der ihm jüngst verliehenen Landschaftsmedaille der Oldenburgischen Landschaft gewidmet. „Es war für mich das erfahrungsreichste Projekt, das ich je gemacht habe", fügt er hinzu.