Sue Bechert - DEINE MUTTER – NICHT LUSTIG

Sue Bechert
DEINE MUTTER – NICHT LUSTIG
Über sich selbst hin und wieder mal lachen können – das erfordert ein gesundes Selbstvertrauen und ist eine Eigenschaft, die es anzustreben gilt. Sich selbst nicht ernster nehmen als die Menschen um einen herum. Witze basieren meist auf Kosten anderer und sind dann OK, wenn es nicht immer die gleichen trifft. Sie halten uns Spiegel vor und haben zudem einen geselligen Charakter, denn zusammen lachen verbindet.
Irgendwann sind Themen abgenutzt, Blondinenwitze werden kaum noch erzählt, dieses Sujet wurde quasi von „Deine Mutter-Witze“ abgelöst. Doch - thank GOD – auch deren Blütezeit neigt sich allmählich dem Ende zu. Es wird empfohlen, sie nicht persönlich zu nehmen, da sie ironisch gemeint sind, aufgebaut wie Chuck Norris-Witze. Nur kommt Chuck Norris bei dieser Übertreibung und Persiflage besser davon als die Mütter. Bei Chuck Norris geht es um Stärke, Härte und kämpferische Fähigkeiten: „Chuck Norris hat bis unendlich gezählt - 3 mal“ oder „Chuck Norris braucht keine Uhr - er entscheidet selbst, wie spät es ist“. Das Prinzip von „Deine Mutter-Witze“ ist simpel: Die Mutter ist immer über die Maßen dick und/oder dumm: „Deine Mutter ist so fett, sie sprang in die Luft und blieb stecken“ oder „Deine Mutter steht vor der Rolltreppe und zählt die Stufen“.
Da diese Eigenschaften bei Müttern nicht häufiger zu finden sind als bei der übrigen Bevölkerung, berührt mich diese Art der Witze nur peripher. Und – wenn es nicht zu arg ist, kann ich auch über den einen oder anderen „Deine Mutter-Witz“ lachen. Aber ich frage mich, woher solche Witze kommen, wer sich hier von jemandem abgrenzen will oder wer jemanden beleidigen möchte.
Zunächst einmal würde ich sagen, hier möchten sich Kinder von der Autorität eines Elternteils befreien. Dass es sich hierbei um die Mutter handelt, der die negativen Eigenschaften „dick und doof“ (die männliche Variante davon wurde ja bereits in Verkörperung von Stan Laurel und Oliver Hardy verfilmt) zugeschrieben werden, legt nahe, dass diese Witze aus den Köpfen und Mündern von - höchstwahrscheinlich pubertierenden - Jungen kommen. Mädchen machen keine Witze über eine Rolle, in der sie sich im späteren Leben eventuell auch selbst einmal sehen. Auffällig ist weiter, dass es nicht „meine Mutter“ heißt, dies würde auch negatives Licht auf den Witzeerzähler selbst werfen. Deshalb also „deine Mutter“. Somit wird quasi die Mutter desjenigen beleidigt, dem der Witz erzählt wird und der darüber lachen soll. Upps!
Meine Gedanken drehen sich im Kreis und der Mythos des Ursprungs ist für mich immer noch nicht geklärt. Also recherchiere ich im Netz. Schnell wird klar, worum es geht: Ursprünglich basierend auf „Playing the dozens“, dem verbalen Schlagabtausch unter afroamerikanischen männlichen Heranwachsenden. Das Prinzip ist, den Gegner schlagfertig herabzusetzen. Da Beleidigungen der Mutter des anderen als besonders tiefgreifend empfunden werden, wird hierauf vorrangig zurückgegriffen. Verlierer ist, wem es die Sprache verschlägt. Ich folgere, dass die Verbreitung über den großen Teich via Internet dann eher nach dem altertümlichen Prinzip „Stille Post“ stattfand, denn „Deine Mutter-Witze“, die unreflektiert in den Schulklassen unserer Kinder erzählt werden, fehlt die ursprüngliche Feindseligkeit. Das Gegenüber soll dabei nicht beleidigt werden, der Typus „Deine Mutter“ ist aufgrund der immensen Übertreibung zu absurd und dadurch abgeschwächt. Niemand denkt dabei an irgendeine bestimmte Mutter.
Trotzdem: Man sollte solche – vielleicht sich auch als harmlos herausstellende - Strukturen pubertärem Männlichkeitsgehabe beobachten. Dieses Prinzip findet sich auch im sogenannten BattleRap wieder, bei dem es ebenfalls um die sexistische Selbstdarstellung der eigenen Männlichkeit und gleichzeitigem Diss des Gegners geht. Das Strickmuster der Texte basiert auf dem einfachen „eins rechts, eins links, eins fallen lassen–Prinzip: Egogesteuerter männlicher Körperkult im Freihantelbereich, Frauen unter der Rubrik „bitches“ abgelegt – nur die eigene Mutter ist heilig. Doch auch das Bild der Heiligkeit der Mutter hat im Laufe der Zeit Kratzer erlitten.
Letztendlich liegen hier die Ursprünge einer von sogenannten „Gangster-Rappern“ verbreiteten frauenfeindlichen Welle, deren Fangemeinde sich in Deutschland tsunamiartig vergrößert. Deutsche Texte, im „Hinterhofjargon“ von jungen, brutalen, selbsternannt gutaussehenden Machos. Sex missbraucht zur Demonstration männlicher Macht. In der Phantasie der Möchtegern-Gangster spielen sich folgende Szenen ab: „Während ich Fotzen verprügel machen sie den Herd sauber“, „ ficke Ghettochicks“, „knalle Fotzen anal“, „beglück´ deine bitch“ etc. Neben diesem Sexismus ist auch hier das Thema „deine Mutter“ präsent: Mit Texten wie „Beat, mit dem ich Mütter ficke“ und „ficke deine Ma“ wird die klare Ansage gemacht, dass der angesprochene „Feind“ erniedrigt werden soll – jedes Mittel ist hierfür recht. Ich schrecke auf: Eine Assoziation breitet sich in meinem Kopf aus: Sexuelle Gewalt gegen Frauen zur Diffamierung des Feindes findet in Kriegszeiten allerdings nicht nur in Köpfen statt, sondern wird als (kostengünstige) strategische Waffe eingesetzt. Hier darf man nicht weghören, diese Gedankenentwicklung gilt aufzuhalten. Und wenn trotzdem noch jemand meint, Frauen und Mütter sollen das alles nicht persönlich nehmen, da die Texte ironisch gemeint sind, der hat unsere Leidensfähgkeit über- und unseren Geist unterschätzt.