Sylvia Tornau rezensiert J. Monika Walthers 'Goldbroiler' auf www. tatmoor.de

 Sylvia Tornau rezensiert J. Monika Walthers 'Goldbroiler'

zu lesen auf http://www.tatmoor.de/date/2010/02

“Goldbroiler oder die Beschreibung einer Schlacht” – Eine KriminalGeschichte
von J. Monika Walther – rezensiert von Sylvia Tornau

Vorab gesagt, wer – angelockt vom schmackhaften Titel – das letzte
große Broilerfressen vor dem Ausverkauf der DDR-Goldbroilerstuben
erwartet, der wird enttäuscht sein und vielleicht dann, wenn er lange
genug in der Geschichte bleibt, doch auch nicht.
Das goldige Vögelchen ist in diesem Buch nicht viel mehr als ein Synonym.
Nur wenig an der DDR war so schmackhaft wie dies und vielleicht gerade
deswegen musste es Anfang der 90er erst einmal verschwinden. Und ums
Verschwinden des Alten, Abgewirtschafteten geht es in diesem Buch
(unter anderem!). Das teilt uns die Autorin J. M. Walther schon auf der
ersten Seite ihrer KriminaGgeschichte mit:
“Die Schonzeit im Ex-Land DDR ist vorbei.”
Mit diesem Satz eröffnet sich der Leserin eine Tür in (noch gar nicht
so lang) vergangene Zeiten. Schon hier nimmt die Autorin die erste
Hürde, wenn es ihr gelingt, der Leserin in die nicht immer liebsamen
Erinnerungen hinein zu helfen. Hinein in eine Geschichte voll Trauer,
Korruption mit sehr verstörten und verstörenden Figuren. Zurück in eine
Zeit die bewegt war und die bewegte, in der sich aber in der Realität –
und in diesem Buch sehr genau aus der Beobachtung gezeichnet – schon
absehen ließ, wer den Sprung aus der alten in die neue Gesellschaft
schaffen wird und wer nicht.

Lakonisch beschreibt die Autorin die Risse in der Gesellschaft, die
sich plötzlich nicht nur in Straßenvierteln und Familien abzeichneten
sondern die quer hindurchgingen durch Individuen.
Die Wunden schlugen, an denen manche starben, manche unheilbar
erkrankten und die andere zu Betrügern, Dieben oder gar Mördern werden
ließen. Dabei ist es egal, ob die Geschichte – wie in diesem Buch – an
der Ostseeküste spielt oder in Dessau, Leipzig oder Zittau. Oder –
heute sind wir geschichtlich schon ein klüger als noch vor 20 Jahren –
in irgendeiner Stadt in irgendeinem anderen der ehemaligen
Ostblockstaaten. Aber zurück, diese Geschichte spielt in Warnemünde und
nicht zuletzt mit ihren Ortsbeschreibungen gelingt es der Autorin in
diesem Roman nah an der Realität zu bleiben.

Mit der Protagonistin, der angehenden Privatdetektivin Ida Waschinsky,
gibt uns die Autorin eine Suchende an die Seite. Eine, deren zaghafte,
mitunter naive Herangehensweise, deren argloser Umgang mit den Menschen
ihres Viertels, mit deren Armut und dem auch eigenen Willen es
irgendwie zu schaffen, dieses Unbedingte Dazu-gehören-wollen, das
Geschehen für die Leserin ein wenig ertragbarer, aushaltbarer macht.
Ein vielleicht von der Autorin nicht gewollter Effekt.
Denn dieses Buch in der Verkleidung einer KriminalGeschichte liest sich
wie die Kurzzusammenfassung des Ausverkaufs einer Gesellschaft, in der
es schon längst nichts mehr zu kaufen und verkaufen gab. Was man wollte
und auch was man nicht wollte, man bekam es geschenkt. Das Lächeln der
Nachbarin ebenso wie das Gebrüll des Säufers an der Kaimauer. Oder wie
Ida das eine oder andere schmackhafte Essen der aus dem Westen
zugezogenen Kneipenbesitzerin. Und eigentlich war es auch fast egal, ob
man sich eher zu den Gewinnern oder Verlierern zählte, denn eines
verband alle: der Wille dazuzugehören. “Ich will ein Auto, ich will
Geld. Ich bin eine Detektivin. Ich habe eine Ausbildung als Detektivin.
Ich will Geld.” Diese selbst beschwörenden Worte von Ida könnten das
Credo dieses Romans sein, wenn da nicht, neben all dem Hetzen und
Jagen, neben all der Korruption und dem Verrat, immer wieder diese
Sehnsucht nach dem Dazugehören, nach dem anderen, vielleicht besseren
Leben herausklingen würde.

Das was da anklingt wie Nebenbei, aus den ob ihrer
Realitätsbeschreibung mitunter kaum ertragbaren Seiten dieses Romans,
dieses Sehnsüchtige, Lebenssüchtige macht diesen Roman zu dem was er
ist:
zu einem Dokument der Zeitgeschichte, einem Dokument des Wandels.
Diese Zeitbeschreibung, die in Form einer KriminalGeschichte
angeschlurft kommt, ein wenig schmuddelig, wie trunkig – vielleicht
sogar betrunken (in diesem Buch wird übrigens herzzereissend gesoffen)
– ist gleichzeitig eine Poesie der schmerzenden Sehnsucht, eine Arie
des Lebens und des Miteinanders, besungen in der rauen
Wendewirklichkeit.

Am Ende war kaum einer mehr zu Erkennen und war im Grunde doch immer noch Selbst.
So wie Ida, die am Ende zugreift, wenn die neuen Scheine wandern und die doch weiß, dass sie nicht zugreifen sollte.
Dieser Roman ist keine leichte Kost sondern eher etwas für experimentierfreudige Lesegourmets.
Ein schweres, ein wundervolles und bewegendes Buch! Unbedingt empfehlenswert.

J. Monika Walther, Goldbroiler oder die Beschreibung einer Schlacht – Eine KriminalGeschichte,
Geest-Verlag 2009, ISBN 978-3-86685-208-2, 12 Euro