Weser-Kurier brichtet über die Abschlussveranstaltung der Berner Bücherwochen mit Hannelore Hoger und nina Tichmann

Text und Musik mit Hannelore Hoger und Nina Tichman

Unkonventionelles zum Thema Liebe

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Viel Zeit nahm sich Hannelore Hoger in Warfleth, um die Liebe von eher skurriler literarischer Seite zu zeigen.

Eine recht unüberschaubare Masse an Kraftfahrzeugen vor dem Gotteshaus lässt auch Uneingeweihte schnell erkennen, dass sich die Warflether St. Marienkirche am vierten Adventssonntag in prominentem Glanz sonnen darf. Dieser geht von der Schauspielerin Hannelore Hoger aus, die der Gemeinde zwei Jahre nach ihrer letzten Beteiligung am Programm der Berner Bücherwochen einen abermaligen Besuch abstattet, um mit der weltweit bekannten Pianistin Nina Tichman eine Melange aus Worten und Kunstmusik zu präsentieren.

Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Schließlich ist es keine Alltäglichkeit, im nahen Umkreis eine Persönlichkeit dieses Bekanntheitsgrades erleben zu können. Den Hinweis, dass manche Zuhörer Hannelore Hoger vor allem als TV-Kommissarin „Bella Block“ wahrnehmen, empfindet die Schauspielerin als ebenso mühselig wie die Frage nachder Erwartungshaltung der Besucher, die zu ihren Lesungen kommen.

„Ich lasse mich nicht auf Bella Block reduzieren, das ist nur eine Figur, die man kennt, weil sie so oft im Fernsehen zu sehen ist. Ich komme vom Theater, ich habe ganz andere Sachen gespielt“, erklärt die Hamburgerin im Gespräch ebenso charmant wie nachdrücklich und verweist unter anderem auf ihr Engagement am Bremer Theater, wo ihr Name gemeinsam mit denen Peter Zadeks und Kurt Hübners, um nur zwei zu nennen, untrennbar mit der Blütezeit des „Bremer Stils“ in den Sechziger- und Siebzigerjahren verbunden ist.

So beschlossen Hoger und Tichman, die diesjährigen Berner Bücherwochen mit dem Titel „Trotz alledem“ um eine literarisch-musikalische Veranstaltung zum Thema „Liebe“ zu ergänzen, freilich in einem nicht gänzlich konventionellen Stil. In diesem Sinne durchforstete Hoger ihren literarischen Bestand nach skurrilen Liebesgeschichten und fand diese unter anderem im Oeuvre Robert Walsers, Tania Blixens und Honoré de Balzacs.

Tichman ergänzt – oder besser: kontrapunktiert – die Lesung um ein ausgesuchtes Repertoire, das zu weiten Teilen aus der Feder Claude Debussys stammt und somit zeitlich zumindest grob mit den Entstehungsdaten der vorgetragenen Literatur übereinstimmte. Die Tatsache, dass ihre Einspielung des Gesamtklavierwerk Debussys im Programmheft ausdrücklich erwähnt wird, dürfte somit kein Zufall sein, oder? „Als ich die Musik für die Veranstaltung auswählte, versuchte ich vor allem, musikalische Pendants für die Atmosphäre und Struktur der jeweiligen Geschichte zu finden. An Debussy habe ich dabei zuerst gar nicht gedacht“, erklärt die in Köln lebende Pianistin amerikanischen Ursprungs, die regelmäßigen Besuchern der Veranstaltungen in der St. Marienkirche durch mehrfache Auftritte in wechselnden Konstellationen bereits bestens vertraut sein dürfte.

Für Hannelore Hoger hingegen gilt als relevantes Auswahlkriterium der vorgetragenen Werke auch ihre persönlichen literarischen Vorlieben: „Ich kann nur vorlesen, was ich selber gut finde, sonst funktioniert das nicht.“ Für ihre Vorträge lässt sich Hoger Zeit, betont sorgfältig jeden Konsonanten und Vokal und wählt eine angemessen empathische Betonung. Mit norddeutschem Understatement versteht es die Hamburgerin, die bei solchen Unterfangen stets drohende Klippe des sogenannten Overactings galant zu umschiffen.

Mit Charme für Stunden gebannt

In manchen Momenten erinnert Hogers Art des literarischen Vortrags fast ein wenig an Hans Paetsch, dem spätestens posthum der liebevolle Ehrentitel als „Märchenonkel der Nation“ zuteil wurde. Doch in den von ihr vorgelesenen Geschichten geht es nicht um verwunschene Prinzen und gläserne Schuhe. Stattdessen dominieren Eros und Thanatos, Liebe und Tod als zentrale Themencharaktere der skurrilen Geschichten, die gemessen an ihrem jeweiligen Entstehungszeitraum bisweilen sogar recht schlüpfrige Sittenbilder zeichneten.

Die selbst gewählte Rolle Hogers als Literaturvermittlerin ruft bei den Warflether Zuhörern gemischte Reaktionen hervor: Während eine Besucherin Hogers Vortragskunst lobt, findet ein heranwachsender Besucher keinen rechten Zugang zu Balzacs „Die Geliebte des Königs“: „Die war irgendwie langweilig“, gesteht er seiner erwachsenen Begleitung.

Doch von dem manchmal etwas ruppigen, aber immer herzlichen und authentischen Charme Hogers lassen sich alle Anwesenden ebenso verzaubern wie von den Tastenkünsten Tichmans, die unter anderem eine wunderschöne Variante des unsterblichen „Claire de Lune“ zutage förderten. Bereitwillig folgt das Publik ihrer mehrstündigen Melange aus literarischem Wort und kunstmusikalischen Klang. So zeigt sich auch Hoger auf die Frage nach einer möglichen Erwartungshaltung ihrer Zuhörer schließlich versöhnlich: „Schreiben Sie doch einfach, dass jede Liebesgeschichte immer auch irgendwie ein Krimi ist.“

Den tosenden Applaus des Publikums beantworteten die beiden Künstlerinnen mit einer Zugabe. Als Hannelore Hoger Hans Christian Andersons Märchen vom kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzern verlas, hätte man eine Stecknadel in der St. Marienkirche fallen hören können. Der sanft beschwingte Abschluss war dann Nina Tichman vorbehalten, mit Johann Sebastian Bachs „Jesu bleibet meine Freude“.