Beatrice Grieger - Ein wesentlicher Einschnitt (Jugendliche melden sich zu Wort am 24. März)
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Ein wesentlicher Einschnitt
Erst heute bin ich dem Vorurteil „Frauen gehören hinter den Herd“
begegnet. Wir hatten eine Diskus¬sion im Pädagogik-Kurs, bei der es
darum ging, welche Funktion der Vater bzw. der Mann hat, diese lenkte
sich jedoch schnell in eine andere Richtung, nämlich in die
Fragestellung, inwieweit es eigentlich eine Gleichberechtigung für Mann
und Frau gibt und geben sollte. Die Frage nach der „Funktion“ des
Vaters bzw. des Mannes gefiel mir dabei durchaus. Funktion des Vaters?
Funktion der Mutter? Funk¬tion der Frau?
Wir haben also Funktionen, vielmehr scheint es so zu sein, dass wir in
bestimmten Bildern und Rollen¬verständnissen schlicht zu funktionieren
haben.
Teilweise war ich demnach auch sehr erschrocken von den Ansichten
einiger Schüler, die zum Beispiel behaupteten, dass Frauen von Grund
auf dafür geschaffen seien, in der Küche zu arbeiten, Kinder zu
erziehen und für den Mann alles stets parat zu haben. Man definierte
den Mann als dominierendes Wesen, welches in einer Familie immer das
bestim¬mende Wort hat. Wenn er „Nein“ sagt, heißt es auch nein. Also so
funktioniert Familie, dass Frauen funktionieren und es ihre Funktion
ist, sich dem Mann unterzuordnen?
Ich finde, diese Sichtweise ist nicht mehr als ein Vorurteil und darin
ist sie vollkommen überflüssig, da ich denke, dass wir in unserer
heutigen Zeit so weit fortgeschritten sein müssten, dass wir wissen
sollten, dass Frauen die gleichen Rechte und Pflich¬ten und auch die
gleichen Möglichkeiten haben wie ein Mann.
Frauen sollten wie Männer die gleichen Chancen haben, einen Beruf
auszuüben, um die soziale und gesellschaftliche Gleichheit der Menschen
zu ge¬währleisten. Es geht ausdrücklich um Gleichheit, vielleicht sogar
um Freiheit. Es geht eben nicht um Funktionen und schon gar nicht
darum, als Frau einfach nur funktionieren zu müssen.
Ich bin diesem Vorurteil schon einmal begegnet, das sogar ziemlich früh.
Und zwar bei meinem leiblichen Vater, der schon meine Mutter und
seine Mutter oftmals als unfähig ansah. Er ist der typische Handwerker
(ja, ich weiß, auch das ein Vorurteil), oder sagen wir mal Polste¬rer,
der so gut wie alles übernommen hat, fast schon bestimmt hat; ob es die
Wohnung war, finanzielle Anschaffungen. Selbst die sonst so behauptete
femi¬nine „Dekorationsgeschichte“ bestimmte immer er, obwohl das doch
eigentlich zur Funktion der Frauen gehört. Oder habe ich etwas
missverstanden?
Es war für ihn normal, dass er als Hausherr den Tagesablauf bestimmte
und auch, dass nur er seine Meinung sagen und vertreten durfte. Um es
mal zu¬sammenzufassen, würde ich sagen, dass mein Vater mir und meiner
Mutter als Chauvinist begegnet ist.
Bis heute hat er es noch nicht gelernt oder ver¬standen.
Nur, das kann mir ziemlich egal sein, denn ich lebe ja nicht mehr bei
ihm, und das von dem Zeitpunkt an, als meine Mutter seine Tagesordnung
durch¬brochen hat, und einfach mal seine Gardine nach ihren Belieben
zerschnitten (umdekoriert) hat.
Das war dann im wahrsten Sinne des Wortes ein Schnitt!
Beatrice Grieger