Gudimenko - Brief an die Mutter (Gedicht des Tages)

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Gudimenko
Brief an die Mutter

 

Brief an die Mutter

So hör' doch Mutter,
von der Tochter hier ein Brief,
von fern her schreibt sie dir:
Zwar leb' ich, doch wie tot –
verlassen, elend, bitter.

Verschleppt ins ferne Land,
allein mit drängenden Gedanken,
so jung und schon gebrochen,
von dir, Mama, getrennt.

Ich auf der Bühne – weißt du noch?
Wie ich die Leute aufgeheitert,
und du am Tor den Abend lang
auf’s Töchterchen gewartet hast?

Leider seh' ich meine Brüder
und auch die lieben Schwestern nicht.
Doch um euch, ihr Lieben, nicht zu kränken,
drück' ich fest noch euch die Hand.

Nina Andrejewna Gudimenko, geb. 1926
Als Siebzehnjährige in Nikopol auf der Straße eingefangen und in ein Lager am Rand von Wuppertal verschleppt, „Wir putzten die Fenster von Personen- und Lazarettzügen. In einer Hand trugen wir feuchten Werg mit Sand und eine Holzleiter auf der Schulter, in der anderen Hand einen Eimer mit Wasser und Bürste – und das bei jedem Wetter. Wir reinigten und putzten Viehwaggons, luden Kohlen ab. Wenn Waggons mit
essbaren Produkten kamen, bekamen wir sie nicht zu sehen. Unsere Vorgesetzten waren Meister, gute Menschen, Theo, ... Johann. Wenn es regnete und niemand von der Obrigkeit in der Nähe war, winkten sie mit der Hand und sagten, geht in den Waggon und wärmt euch auf. Die Kleidung: blaue Hose und Jacke mit angeknöpften Ärmeln und im Winter eine Jacke aus einfachem grünen Material und ein Kopftuch um den Kopf, für die Unterwäsche stahlen wir Gardinchen aus den Personenzügen und nähten sie uns selbst“.
Trotz der Verdächtigung der Kollaboration gelang es Gudimeko nach 1945, in ihrer Heimat die 10. Klasse mit Auszeichnung abzuschließen und Medizin zu studieren. Zusammen mit ih-rem Mann wurde sie nach Kasachstan versetzt. Sie kehrte später in die Ukraine zurück.
Gudimenko schickte dieses Lagerlied, gesungen im Lager „Zu den Dolinen“ an den Verein Spurensuche – NS-Geschichte Wuppertal e.V.
Übers. W.M.