Karim Gharbi - Wen erinnere ich, wenn ich mich erinnere? (Jugendliche melden sich zu Wort am 2. Mai)

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Wen erinnere ich, wenn ich mich erinnere?

Ich möchte nicht mich erinnern, sondern ich möchte an einen Menschen erinnern, der mir wichtig war und ist. Die Geschichte ist wahr und handelt von einer starken Frau in einer harten Zeit.
Bahija ben Hadja Tounsi ist im Jahre 1929 in Dehmani geboren worden. Zu dieser Zeit war Tunesien noch durch die Franzosen besetzt und die Menschen, die dort lebten, lebten – wie es meine Oma immer erzählt – in Angst vor der Unter¬drückung und ohne jede Aussicht auf Bildung. Es war die Zeit des Krieges.
Meine Oma, die ich hier erinnere – an die ich hier schriftlich erinnere, hat somit nie lesen oder schreiben gelernt. Sie war die Tochter eines Bauern und lernte auf dem Land harte Arbeit kennen und das, was die Pflichten einer Frau sind.
Eine dieser Pflichten ließ meine Oma demnach mit nur 12 Jahren meinen Opa, Rejab Ayari, heiraten. Von da an verließ sie endgültig ihre Heimatstadt, allerdings zusammen mit ihrer Mutter.
Sie lebten nun in der Hauptstadt Tunis. Einige Jahre nach ihrer Hochzeit bekam sie ihr erstes Kind, meinen Onkel, Mohamed Ayari. Es war eine sehr harte Zeit, denn meine Oma erinnert sich noch heute sehr gut daran, wie sie vor den Bomben und den Soldaten flohen. Sie hielt dabei ihren Erst¬geborenen im Arm und lehnte sich nach jedem Gewehrschuss an eine Hauswand, um ihren Sohn und sich zu schützen. Es war eine Zeit des Schre¬ckens.
Trotz dieser düsteren Zeit erzählt meine Oma im¬mer, dass sie vor allem auch sehr glücklich war, denn sie hatte einen liebevollen Mann, der sich sogar um ihre Mutter und um ihre Geschwister gekümmert hat. Und sie – meine Oma – schenkte ihm vier Kinder und sagt oft, dass diese Kinder ein Geschenk ihres Mannes seien.
Nach dem Tod meines Opas 1956 musste sich meine Oma um alles selber kümmern. Sie musste vier Kinder und ihre Mutter ernähren.
Nach einigen Jahren heiratete sie wieder und zwar Hmid ben Ahmed. Sie bekam von ihm drei weitere Kinder. Mein Opa Hmid kam dann schließlich nach Deutschland und arbeitete hier. Letztlich hat meine Oma sieben Kinder fast so gut wie alleine gro߬gezogen. Noch heute sagt mir meine Oma immer, dass dies alles eine in vielem bessere Zeit gewesen sei. Zwar hatten sie nichts, mussten hart arbeiten, aber sie haben halt auch viel mehr geschätzt als wir und waren für Kleinigkeiten dankbarer und viel¬leicht glücklicher.
Als ich mit der Erich Kästner-Gesamtschule, Laura Klatt und Herrn Gutsche nach München eingeladen worden bin, um erstmals mit der „Stiftung Weiße Rose e. V.“ zusammenzuarbeiten, sah Herr Gutsche, mein Philosophielehrer, das Foto meiner Oma auf meinem Handy. Er sah eine alte Frau, die auf Teppichen saß, die ein Kopftuch trug und Fische ausnahm. Und er war begeistert und erzählte von seiner Oma, die auch ein Kopftrug trug, die auch Fische ausnahm, die aber nicht in Tunesien aufge¬wachsen war. Und er bat mich, ihm mehr von dieser Frau zu erzählen.
Und so erzähle ich von meiner Oma und kann an sie erinnern. Sie wird das nie lesen können, aber ich hoffe, ich kann ihr das einmal vorlesen.

Karim Gharbi

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