Karla Ramirez - Wieder ein neues Leben (Jugendliche melden sich zu Woirt am 1. Januar)

Hördatei: 

Wieder ein neues Leben

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. OK. Ich wuchs mit meinen Eltern und meinem gro-ßen Bruder in Essen auf. Ich fühlte mich dort sehr wohl, und mein Bruder unterstützte mich da, wo ich ihn brauchte. Na ja, bis sich mein Leben vollkommen auf den Kopf stellte.
Der Albtraum fing damit an, dass mich meine Mutter mitten in der Nacht weckte. Sie war sehr aufgebracht und packte einen Koffer. Ich war damals fünf Jahre alt und verstand noch nicht so wirklich, was in der Nacht zwischen meinen Eltern vorgefallen war. Verschlafen zerrte meine Mutter mich ins Auto, und wir fuhren zu einem ihrer Arbeitskollegen. Meinen Vater und meinen Bruder sah ich fast eine gan-ze Woche nicht. Und dann kam noch dazu, dass wir zu einem Mann ziehen sollten, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Er war unge-pflegt, dick und stank nach Bier und Rasier-wasser. Er hatte eine arrogante kleine Tochter, die nie mit mir reden wollte und immer zickig zu mir war. Als ich erfuhr, dass sich meine El-tern wirklich trennen wollten, zerbrach meine Welt, und ich fühlte mich allein gelassen. Ich wollte so gerne aus diesem Albtraum aufwa-chen!
Wenige Monate später zogen wir in ein kleines Dorf, das Heiden hieß. Dort ging ich zwei Jahre lang zur Grundschule. Ich wurde von nieman-dem akzeptiert und hatte immer Pech. Bis ich dort auf die Hauptschule kam und Jessica ken-nen lernte. Sie verstand mich, und mit ihr konnte ich mich über alles unterhalten. Wir wurden beste Freunde. Zu Hause wurde die Lage aber nicht besser. Meine Mutter und ihr Freund stritten sich und ließen dies an uns aus. Dadurch fühlte ich mich noch schlechter und zog mich immer mehr zurück.
Nach acht Jahren gab es wieder Hoffnung für mich. Meine Eltern trafen sich heimlich wieder, und die Lage zu Hause wurde besser. Drei Mo-nate später trennte sich meine Mutter von ih-rem Freund und kam wieder mit meinem Vater zusammen. Darüber war ich sehr glücklich, und so wurde ich wieder offener zu anderen. Aber als ich erfuhr, dass wir wieder zurück nach Es-sen ziehen wollten und ich Jessica zurücklassen sollte, drohte meine Welt erneut zu zerbre-chen. Der Albtraum kam zu mir zurück. Ich wollte abhauen und immer bei Jessica bleiben. Nie mehr umziehen wollte ich! Aber es half nichts. Ich musste mit und wieder ein neues Leben anfangen. Inzwischen lebe ich wieder mit meiner Familie in Essen, bin in der neunten Klasse und habe neue Freunde gefunden. Jetzt hab ich endlich das Gefühl, aus meinem Traum erwacht zu sein, und schreite mit erhobenem Kopf ins Licht.  

Karla Ramirez (Pseudonym; 14 Jahre )

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