Laura Klatte - Hoffnung (Jugendliche melden sich zu Wort am 29. März)

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HOFFNUNG
Laura Klatte

Baum, so nennt man mich. 150 Jahre zählen meine Jahresringe nun
schon. Viele Jahrzehnte, in denen ich heiße Sommer, kalte Winter,
verregnete Früh¬linge und viel zu stürmische Herbste überstanden habe.
Jahre, in denen so manch müder Wanderer oder Hirte zu mir kam, um sich
auszuruhen oder um Schutz unter meiner mächtigen Krone zu finden. Auch
Vögel und andere Tiere besuchten mich häu¬fig, stets mit dem Vorhaben,
Nahrung oder ein Zu¬hause zu finden.
Ich war immer für alle da. Habe viel miterlebt und doch alles immer wieder überstanden.
Nur sorgte sich in all der Zeit niemand um mich. Erging es mir schlecht
oder fielen die Käfer über mich her, so kämpfte ich allein. Selbst
meine Sprösslinge verlassen mich jedes Jahr, sodass ich im Herbst
dastehe, wie Mutter Natur mich schuf: nackt.
150 Jahre lang war ich da – aber niemand sonst. Alleine, ganz alleine
stehe ich hier. Weit und breit nichts als Wiesen, Felder und Tiere.
Kein anderer Baum. Ich bin allein, ganz allein.
Vor Kurzem kamen Waldarbeiter und Förster. Zum ersten Mal in meinem
Leben hatte ich die Hoffnung, vielleicht bald nicht mehr alleine zu
sein. So viele starke Menschen, dachte ich mir, die können doch sicher
weitere Bäume hierher zu mir pflanzen.
Sie gaben allerlei für mich unverständliche Laute von sich und liefen
immer wieder hin und her. Sie hatten Bänder dabei, an denen sie
irgendetwas erkennen konnten, so erschloss ich es zumindest aus ihrer
Reaktion, denn nach einem Blick auf das Band folgten wieder Laute.
Schließlich standen sie direkt vor mir.
Ihre Augen wanderten von meinem Stamm in meine prachtvolle Krone. Ich
war stolz. So viel Bewunde¬rung erfährt man auch nach vielen vielen
Jahren auf der Erde noch gerne.
Kurz bevor sie wieder fuhren, verzierten sie meine Rinde noch mit roter
Farbe. Es ist ein schönes Rot, ein schöner Kontrast, hier in dieser
grünen Um¬gebung.
Es ist jetzt bereits fünf Tage her. Tage, in denen ich warte, auf einen
weiteren Baum. Doch bis jetzt stehe ich hier noch immer alleine. Den
Rest meines Lebens würde ich gerne zu zweit verbringen. Ich warte
weiter. Die Hoffnung stirbt doch schließlich zuletzt.