Marlin Fortkamp - Es hat sich gelohnt (Jugendliche melden sich zu Wort)
Hördatei:
Du schlägst die Augen auf, und schon ist es wieder da, dieses Gefühl. Du kannst es nicht beschreiben, es ist da, und du wirst es einfach nicht los. Dieses Gefühl der Leere in deinem Kopf, in deinem Magen, in deinem ganzen Kör-per. Du hast seit Tagen nichts gegessen, ge-schweige denn getrunken. Du weißt nicht, wo sie alle sind: deine Familie und deine Freunde, deine Nachbarn und deine Bekannten. Am liebsten würdest du dich umbringen vor Ein-samkeit.
So muss es einem Kind ergehen, welches in Armut lebt. Ich hoffe, ich muss so etwas nie mitmachen. Bis dann!
„Puuh!“, sagte ich zu mir selbst, während ich mein Büchlein, in dem ich alle Gedanken fest-halte, zuklappte. Ich fühlte mich bedrückt und traurig. Gerade eben hatte ich im Fernsehen einen Bericht gesehen. Ein kleines Mädchen, das sehr abgemagert und dreckig aussah, blickte mit seinen großen dunklen Augen in die Kamera. Es schien, als ob es mich direkt an-schauen würde. Ich wollte eigentlich ausschal-ten, da ich noch ein paar Hausaufgaben erledi-gen musste, aber ich konnte nicht. Ich saß wie gelähmt vor dem Fernseher und blickte starr auf den Bildschirm. Die Bilder wechselten, und ich sah nun, wie die Menschen in Armut woh-nen und leben müssen. Sie zeigten, wie Kinder ihre Eltern verloren hatten oder wie Freunde und Verwandte sich für immer verabschiede-ten.
Plötzlich bekam ich einen riesengroßen Kloß im Hals, und meine Finger wurden ganz zittrig. Von einem Moment auf den anderen schnürte sich mein Hals zu, so dass ich fast keine Luft mehr bekam. „Jetzt bloß nicht heulen!“, sprach ich mir selber Mut zu, weil ich mir doch schon etwas blöd vorkam. Ich versetzte mich in die Situation, was manche Kinder durchmachen müssen. Ich wollte mir erst gar nicht ausma-len, wie es wäre, wenn ich meine Familie oder meine Freunde verlieren würde und auch nichts zu essen hätte. Ich wüsste nicht, was ich ma-chen sollte, und ich will es auch gar nicht wis-sen! Wie gut es mir hier doch geht!“, dachte ich. „Hier ist meine Familie, hier sind meine Freunde, hier ist mein Zuhause, hier will ich bleiben.“
„Rrring! Rrring!“ Das Klingeln des Telefons riss mich aus meinen Gedanken. „Hallo?“, meldete ich mich und vergaß glatt meinen Namen zu nennen. „Hi, ich bin´s!“, rief meine Freundin, die ich natürlich sofort erkannte, vor Aufregung in den Hörer. „Weißt du, was ich gerade im Fernsehen gesehen habe?“ Sie ließ mich gar nicht erst antworten, sondern beantwortete die Frage selber. „Da war so ein Mädchen, und da gab es so Bilder, wo es lebt und aus dem Land und so .... Ach, wie heißt das denn gleich noch?“ „Nun beruhige dich doch erst einmal“, sagte ich langsam und deutlich, damit sich meine Freundin entspannen konnte. „Ich glau-be, ich habe gerade das Gleiche gesehen.“ „Voll krass, ich musste fast heulen!“, rief sie noch immer viel zu laut. „Ja“, meinte ich, „ich auch, aber nur fast. Ich habe mich gerade noch zurückgehalten.“ Stille am Telefon, wahr-scheinlich überlegte sie. Sie fragte: „Meinst du, da kann man irgendetwas machen?“ „Mmh ...“, überlegte ich. „Vielleicht können wir etwas spenden.“ Ich fand meine Idee sehr gelungen, aber meine Freundin wohl nicht. „Die Idee an sich ist ja ganz gut. Aber wenn wir zwei ein bisschen was spenden, können wir da auch nicht so viel reißen!“ „Stimmt“, gab ich zu. „Aber wir können ja auch in der Schule fragen, ob nicht noch andere etwas spenden wollen.“
Gesagt, getan. Der nächste Tag in der Schule wurde ein voller Erfolg. Wir durften sogar wäh-rend des Unterrichts durch die Klassen gehen und Geld sammeln. Unser Klassenlehrer war zu unserem Bedauern sogar so begeistert, dass er uns ein Referat zu diesem Thema aufbrummte. Aber was soll´s! C`est la vie (heißt auf Deutsch: So ist das Leben)!
Als meine Freundin und ich uns am nächsten Tag zum Geldzählen trafen, gaben wir selber noch etwas dazu und merkten, dass wir doch ganz schön viel gesammelt hatten. Das Geld brachten wir sofort zur Bank, wo wir es dann überwiesen.
Ich kann Euch sagen, es hat sich gelohnt. Man fühlt sich nachher supergut, weil man weiß, man hat etwas für die Welt getan. Die Armut wird zwar nie aufhören, aber vielleicht haben wir damit wenigstens ein bisschen geholfen.
Malin Fortkamp ( 13 Jahre )