Ich nehme morgen frei

9.00 Uhr
Aufgestanden, zwei Stunden zu spät. Verdammt, meine Mutter macht mir die Hölle heiß!

10.00 Uhr
Auf dem Weg zur Schule. Festgestellt, dass die Spanisch-Hausaufgaben fehlen. Begründung: Ich kann kein Spanisch. Ich konnte es noch nie. Werde es nie können. Lösung: Keine. Folge: An-schiss, Einreden eines schlechten Gewissens sei-tens der Lehrerin.

12.00 Uhr
Feststellung: Auch keine Deutsch-Hausaufga-ben. Lösung: Erstens: abschreiben; zweitens: selber machen; drittens: beichten. – Entschlos-sen, sie selber zu machen. Funktionierte nicht. Lehrer schlich sich von hinten an.

13.00 Uhr
Freistunde: Bekloppte Freundin redet und redet. Ich verstehe nur Blabla, nehme aber dennoch wahr, dass es um einen Typen geht. Ignoranz meinerseits, Beleidigung ihrerseits. Ich habe meine eigenen Probleme!

14.00 Uhr
Kunst: Fallus – Symbole. Sinn?

15.00 Uhr
Sport, Zirkeltraining: Was hab ich in meinem Leben falsch gemacht, dass ich so leiden muss?

16.00 Uhr 
Schule aus. Kleine und große Kinder versperren mir den Weg. Werde verfolgt von infantilem Mit-schüler mit infantilen Kommentaren.

16.15 Uhr
Zuhause: Werde gezwungen, mein Zimmer aus-zuräumen unter Androhung von Essensentzug. Der Drang zu überleben, ist stärker.

17.30 Uhr
Auch die letzte Ritze ist sauber. Spinnen fürch-ten das Putzmittel. Dennoch ist meine Mutter von negativen Schwingungen umgeben. Leidtra-gende: Ich, ich ganz allein.

18.00 Uhr
Muss immer noch die Standpauke anhören. Las-se die letzten Jahre Revue passieren. Stelle fest, heute ist mein Geburtstag.

18.30 Uhr
Standpauke vorbei. Vermute, Mutter ist müde. Mache entnervt den Fernseher an. Bemerke, dass er kaputt ist.

19.00 Uhr
Treff mit vermeintlichen Freunden. Klauen mir mein Portmonee. Gut, dass es leer war, immer war und sich auch nicht füllte.

20.00 Uhr
Auf dem Weg nach Hause. Zu Fuß. Busticket war im Portmonee.

22.00 Uhr
Zu Hause angekommen. Beleidigt, entrüstet und „leicht“ entnervt. Morgen ist ein neuer Tag. Und ich nehme mir frei.

Naomi Dietrich (19 Jahre)