Paul Beckmann - Der Weg nach Bethlehem (die etwas andere Weihnachtsgeschichte)

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Der Weg nach Bethlehem

Eigentlich wollten sie sich heute auf den Weg machen. Er hatte gestern schon sein Werkzeug zusammengelegt, das er mitnehmen wollte. Maria hatte gemeint, es gäbe so viele Unwägbarkeiten auf dem Weg und vielleicht könnte er unterwegs noch Geld verdienen. Zimmerleute und Tischler konnte man überall gebrauchen.
Aber heute Morgen bat Maria um Aufschub der Reise. Sie fühle sich nicht wohl und ihr sei schwindelig. Nun ja, sie war schwanger und da konnte es vorkommen. Pein-lich war es ihm schon, dass sie ein Kind erwartete. Schließlich waren sie erst kurz verheiratet. Ansehen konnte man es ihr noch nicht. Oh je, dann hätten die Nachbarn sich ihr Maul zerrissen. Insofern war es güns-tig, dass sie sich nach Bethlehem zur Volkszählung auf-machen konnten, wie das Gesetz es befahl. Und bei der Rückkehr würden sie das Kind mitbringen, das unter-wegs geboren war. Also, alles in Ordnung. Aber ganz recht war es ihm nicht, dass sie beide vor der Zeit ihrem leidenschaftlichen Verlangen nachgegeben hatten. Die Verführung war zu groß gewesen.
Diese Maria kannte er schon, als sie noch ein Kind war und fröhlich und laut mit den anderen Kindern vor seiner Tischlerei spielte. Sie hatte dabei das Sagen und ihr Lachen platzte so herzlich aus ihr heraus, dass man selbst davon angesteckt wurde und mitlachte, obwohl das knorrige Stück Holz, das er gerade bearbeitete, kei-nen Anlass zum Lachen gab. Dann hörten die Kinder-spiele auf, und als er sie wiedersah – ihre Eltern waren in ein benachbartes Stadtviertel gezogen – war sie eine schöne junge Frau geworden. Das war auf dem Stadt-fest, und sie tanzten bis in den frühen Morgen miteinan-der. Sie sah ihn mit ihren fröhlichen braunen Augen an, prüfend und auch wieder verlangend. Wollte sie ihn? Gewiss, er war ein gutaussehender Mann mit einem auskömmlichen Beruf, und nicht wenige Eltern hätten ihn gerne als Schwiegersohn gehabt. Doch Maria? Die konnte eine weitaus bessere Partie machen. Da gab es wohlhabende Männer, die sie ernsthaft umwarben. Der Sohn des Rabbi dichtete für sie jeden Tag ein neues Liebeslied. Aus wie vielen Zufallsfäden ist das Tuch un-seres Daseins gewebt? Oder gibt es eine Fügung? Was wählt uns aus und mit welcher Absicht?
Aber Maria wollte Josef. Und als das klar war, folgte schnell die Verlobung. Seit dieser Zeit kam sie fast täg-lich in seine Werkstatt, half ihm tatkräftig bei der Arbeit, sprach mit den Kunden und sorgte für die Eintreibung der Außenstände. Darin war er nicht sehr stark. Doch Maria konnte mit Liebenswürdigkeit und Nachdruck ihre Forderungen vertreten. Und jeder liebte ihre braunen Augen und ihr herzliches Lachen.
Natürlich, in Josefs Augen war ihre häufige Anwesenheit nicht immer mit den sittlichen Ansprüchen der Bibel in Einklang zu bringen. So oft sie sich sahen, wuchs ihr körperliches Verlangen, das häufig in irgendwelchen Verstecken sich auslebte und beide mit höchstem Glück erfüllte. Bis Maria eines Tages sagte: „Ich bin schwan-ger.“ Zuerst hatte er sie überrascht angesehen, aber dann war er mit ihr in der Werkstatt herumgetanzt und hatte dabei immer wieder gerufen: „Wir bekommen ein Kind, wir bekommen ein Kind!“ Dann setzte er sich atem-los auf einen Holzstapel, und da sagte Maria in die Stille hinein: „Ein Engel erschien in meiner Kammer und sag-te: ‚Fürchte dich nicht, du wirst einen Sohn gebären, es ist Gottes Sohn, du sollst ihn Jesus nennen.’“ Da musste Josef lachen. So kannte er seine Maria nicht. Sie war keine Träumerin, und Halluzinationen waren ihr fremd. Vielleicht hing diese Wahnvorstellung mit ihrer Schwan-gerschaft zusammen. Da gab es nicht nur im Bauch Ver-änderungen, sondern auch im Kopf. Aber Maria blieb ganz ernst, und so lenkte er ein. „Jesus ist ein guter Name.“
In der nächsten Zeit sprachen sie nicht mehr davon, doch er merkte, dass Maria sich veränderte. Es gab nicht mehr dieses helle, losplatzende Lachen, dieses Ungestüm, sie mochte auch nicht mehr, dass er sie be-gehrte. Sie war in sich eingeschlossen. Aber an ihrem stillen Lächeln merkte man, dass sie glücklich war.
Nun ja, er dachte, dass schwangere Frauen wohl so sind, schließlich trugen sie ja ein neues Leben, ein kleines Wunder in sich. Er drängte sich nicht auf und sah ihrem Leben aufmerksam und hilfsbereit zu. Sie heirateten, als das Gebot des Kaisers Augustus eintraf, dass jeder Mensch auf dieser Welt seinen Wert nachweisen solle. Und für Josef und Maria und das Kind war dafür der Ort Bethlehem vorgesehen. Josef war froh, dass er deshalb Nazareth verlassen konnte. Niemand würde die zu frühe Schwangerschaft bemerken. Andererseits – eine solch strapaziöse Reise mit einer Schwangeren? Doch Maria machte ihm Mut. „Das wird schon gehen, wir werden es mit Gottes Hilfe schaffen.“
Mit Umsicht beteiligte sie sich an den Vorbereitungen. Und immer das leise, in sich gekehrte Lächeln auf ihrem Gesicht.
Schließlich, drei Tage nach dem ursprünglichen Termin, machten sie sich auf den Weg. Maria saß auf dem einen Esel, der andere trug die Werkzeuge und die weiteren notwendigen Habseligkeiten. Josef ging zu Fuß. Sie ka-men an einer Stelle vorbei, wo eine Karawane von Räu-bern überfallen und ausgeplündert worden war. Die Männer erschlagen, Frauen und Kinder verschleppt. Wären sie pünktlich zum geplanten Termin aufgebro-chen, hätten sie sich dieser Karawane angeschlossen. Maria und Josef sahen sich an. „Gott hat uns beschützt!“, sagte Maria und sie legte die Hände auf ihren Bauch.
Seit diesem Ereignis verlor Josef seine Bedenken, ob sie diesen langen Weg wohl überstehen könnten. Es war ihm, als ob eine geheimnisvolle Kraft sie begleite und lenke. Besonders Marias Zuversicht machte ihm Mut, und er richtete sich weitgehend nach ihren Plänen und Vorschlägen. Er ließ es geschehen.
Vier Tage nachdem sie den Ort der ausgeplünderten Karawane passiert hatten, kamen sie an einer Anhöhe vorbei, auf der mehrere Kreuze standen, und an jedem hing ein Mensch. Man hatte die Räuber gefasst, sofort getötet oder ans Kreuz genagelt. Maria verbarg ihr Ge-sicht vor diesem Anblick und zog die Decke, die auf ih-ren Knien lag, höher hinauf.
Unterwegs sagte Josef: „Wie viel Grausamkeit und Gott-losigkeit herrscht auf der Welt. Wäre es nicht besser, ein Kind nicht einer solchen Welt auszusetzen? Was muss es alles erdulden und erleiden?“
„Ja“, antwortete Maria, „es wird viel erdulden und er-leiden müssen, aber am Ende der Zeit wird Gott uns durch das Kind in das Paradies führen.“
Einmal, als sie vor ihrer Unterkunft standen und in den sternenklaren Himmel sahen, wies Maria nach oben und sagte: „Siehst du da oben den Stern, ich beobachte ihn schon seit längerer Zeit, er wird uns den Weg zeigen.“
Josef glaubte nicht, dass ein so weit entferntes Gestirn ihnen den genauen Weg weisen könnte, er vertraute lieber den Wegweisern und den Ratschlägen der Mitrei-senden. Aber er sagte nichts.
Endlich gelangten sie nach Jerusalem. Die Stadt war voll. Ein Gerücht ging um, wonach drei mächtige Könige mit ihrem Gefolge auf dem Weg seien, um Herodes ihre Aufwartung zu machen. Infolgedessen waren viele Leute aus der Umgebung nach Jerusalem geströmt, um diese drei Wundertiere zu sehen.
Maria und Josef fanden für eine Nacht noch ein preis-wertes Nachtlager, aber dann mussten sie weiter, Beth-lehem war ohnehin der Ort, wo sie sich anzumelden hat-ten.
Für Maria wurde die Reise immer beschwerlicher, der Tag der Geburt rückte näher, und als sie schließlich Bethlehem erreichten, waren die billigen Herbergen alle besetzt. Man riet ihnen, nach außerhalb zu den Schaf-ställen zu wandern, die von den Hirten vermietet wurden. Sie hatten Glück, ein alter Stall war frei, und als der Be-sitzer die schwangere Maria sah, verlangte er nicht ein-mal Miete. Es war ein baufälliger, zugiger Bau mit vielen Löchern in den Wänden und dem Dach. Doch Josef war Fachmann genug, um den Stall abzudichten. Als nach der Arbeit Josef und Maria nach draußen traten, um nach dem Stern zu sehen, konnten sie ihn nirgends er-blicken. Erst als Josef prüfend zum Dachfirst hinauf-schaute, entdeckte er ihn. Er stand genau über dem Stall. Josef wunderte sich.
„Es ist fast so, als wollte er uns zeigen, dass wir unser Ziel erreicht haben.“
„Ja“, sagte Maria, „wir sind angekommen. Gottes Wille erfüllt sich hier.“
In der folgenden Nacht begannen die Wehen, und Maria gebar einen Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe, die sie in einem Winkel des Stalles gefunden hatten.
Da lag es nun, das kleine Wunder. Und Josef betrachte-te es voller Neugierde. Er berührte mit seinem Finger ganz sacht die winzigen Händchen, und da ergriff die kleine Hand den rissigen Finger des Josef und hielt ihn ganz fest.
Und dann öffnete es die Augen, es waren die strah¬lenden braunen Augen der Mutter, sie sahen ihn ernst-haft forschend an, und dann begann es zu lächeln.
‚Es kennt mich, es kennt mich, als hätten wir schon jah-relang zusammengelebt, und es will mich. Warum mich? Wer bin ich denn überhaupt? Ein armer Zimmermann, der es zu nichts Großem in der Welt bringen wird.’ Aber gleichzeitig mit seinen Zweifeln hatte er das Gefühl, als habe man ihm etwas sehr Wertvolles gegeben, ja, als sei er selbst etwas sehr Wertvolles geworden. Er spürte plötzlich eine ungeheure Kraft in sich und eine unendli-che Freude, sodass er laut singend nach draußen sprang und zum Stern hinaufsah. ‚Ja, du wirst mich füh-ren, dir kann ich vertrauen.’
Er kehrte zurück in den Stall und sah, dass Maria das Kind aus der Krippe genommen hatte und auf ihren Knien wiegte. Er kniete vor den beiden nieder und sagte: „Ja, es ist Jesus, der Sohn Gottes.“
Da beugte sich Maria vor und küsste ihn auf die Stirn.
Plötzlich waren draußen Geräusche zu hören. Josef ging hinaus und sah eine Reihe von Hirten stehen. „Es ging so ein sonderbares Licht vom Stall aus, und wir wollten nachsehen, was es sei.“
Sie traten ein, und jeder beugte sich über das Kind, das jeden mit großen forschenden Augen ansah und anlä-chelte. ‚Dich will ich, weil du so einzigartig und wertvoll bist.’
Und jeder ging voller Freude davon und dachte: ‚Ich bin nicht mehr der arme Schafhirt, ich bin etwas auserwählt Besonderes.’ Und er lobte Gott.
Zwei Tage später kam ein Hirte in den Stall gerannt und rief, dass die drei Könige aus Jerusalem auf dem Weg zum Stall seien. Es dauerte nicht lange, da traten drei einfach gekleidete Herren in den Stall, ohne Krone und ohne die Insignien ihrer Macht, knieten vor der Krippe nieder und schauten auf das Kind. Und so wie bei Josef und wie bei den Hirten vollzog sich auch bei ihnen eine Verwandlung. Jeder sagte: „Wer bin ich denn, dass ich mich König nennen darf? Dieses Kind hier wird einmal der Herrscher der Welt werden.“ Und sie verneigten sich demütig.
Dann legten sie Maria einen Beutel mit goldenen Mün-zen vor die Füße. Sagte der erste: „Möge euch dieses Gold eure Wege erleichtern.“ Sagte der zweite: „Möge es euch an die Prüfungen und Verfolgungen erinnern, die der Sohn Gottes zu erdulden hat.“ Sagte der dritte: „Möge es euch an die Ewigkeit Gottes erinnern.“ Gleich-zeitig entzündeten die Diener Weih¬rauch und Myrrhe und ein herrlicher Duft durchzog den Stall. „Dies ist der Duft des Paradieses, in das dieses Kind uns Menschen zurückführen wird.“
Als die Könige den Stall verlassen hatten, trat ein Diener zu Josef und sagte: „Bleibt nicht länger hier. Ihr seid in Gefahr. Folgt dem Stern, der euch nach Ägypten führen wird.“
Am nächsten Tag kamen die Hirten wieder zu dem Stall, doch sie fanden ihn leer. Aber als sie zu ihren Schafen zurückkehrten, sagten sie zueinander: „Gott hat uns sein menschliches und liebendes Angesicht gezeigt. Jetzt wissen wir, wie wertvoll wir ihm sind." Und sie lobten und priesen Gott.

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