Vanessa Meier - Wut, Angst und Schmerz sind geblieben (Jugendliche melden sich zu Wort)

Hördatei: 



 

 

Wut, Angst und Schmerz sind geblieben

 

Kannst du dich noch an deine eigenen naiven Kindheitsträume erinnern? Die Träume von einer glänzenden
Zukunft, von einem „Prinzen", der vor deiner Tür steht und dich mitnimmt, mit
dem du glücklich wirst bis ans Ende deiner Tage? Der Ernst des Lebens ist weg,
weit weg.

 

Bis ein Arzt kommt, Mitleid heuchelt, während er dir im nächsten Atemzug mitteilt, dass du verdammt
krank bist. Und plötzlich macht es Peng, deine Welt bricht in sich zusammen. All
das Schöne schwindet, es bleiben nur noch Wut und Hass in dir.

 

Von nun an wird dein Leben durch wochenlange Krankenhausaufenthalte, Operationen, Bestrahlungen und
Schmerzen bestimmt. Und immer wenn du denkst, du hättest es überstanden, kommt
der nächste Schlag ins Gesicht.

 

Du siehst Dinge, die du nie sehen wolltest, du darfst kein Kind mehr sein, weil jeder von dir erwartet
stark zu sein. Und dann, ganz langsam, wird dir alles und jeder egal. Du wachst
morgens auf, denkst dir: „Klasse, noch ein verdammter Tag mehr auf diesem
Planeten zwischen all den Heuchlern, die keine Ahnung haben."

 

Vom elften bis zum sechzehnten Lebensjahr war dies jeden Morgen mein erster Gedanke. Seit einem
Jahr gelte ich offiziell als „gesund", obwohl es jeden Tag wiederkommen könnte.
Der Hirntumor ist gegangen, aber Wut, Angst und Schmerz sind geblieben. Sie
werden nie ganz verschwinden.