Werner Hardam: Hänschen klein (gedicht des Tages vom 4. November)

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Hänschen klein

Der Junge saß vormittags
allein am Wegesrand,
dort wo die Stadt zu Ende ist.
Niemand wusste, wer er war.  
Er schaute umher, so als
ob er auf jemanden wartete.
Aber alle Leute,
die sich auf der Straße aufhielten,
kannten ihn nicht,
gingen an ihm vorüber.

Sie haben mich beauftragt,
ein Auge auf solche Kinder zu werfen.  
Vielleicht schwänzen diese die Schule,
oder haben sich verlaufen. Wer weiß?
‚Brauchst du Hilfe?’,
habe ich den Jungen angesprochen.
Er hat verneinend den Kopf
geschüttelt, nichts gesagt.  
Dann habe ich gefragt:
‚Wie heißt du?’
Er hat etwas geantwortet,
das sich wie ‚Hänschen klein’ anhörte.
Hänschen klein? Ging allein
in die weite Welt hinein?
Unsinn! Das durfte nicht sein.

Also fragte ich noch einmal, wie er heiße.
Aber er sagte wieder
‚Hänschen klein’ und zeigte auf sich.
‚Musst du denn nicht zur Schule?’
Er schüttelte den Kopf.
‚Du hast dich verlaufen!’
Da lachte er mir frech ins Gesicht,
stand auf und ging.

Ich bin stehen geblieben,
bin ihm nicht gefolgt.  
Denn eines ist klar:  
Mit so einem, der so jung
schon vorhat,
in die weite Welt zu gehen,
möchte ich
nichts zu tun haben!

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