Eisner, Wladimir: Links vom Polarstern
Autor:
Eisner, Wladimir:
Links vom Polarstern.
Erzählungen und Essays.
Zeichnungen von Ljudmila Jerjomina.
Titelfoto von Valeri Belov
Geest-Verlag 2008
ISBN 978-3-86685-11
10 Euro
Die vorliegenden Erzählungen und Essays entführen den Leser in die nördliche Welt Sibiriens, in der der Autor viele Jahre seines Lebens verbracht hat. Die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur, die ihm kaum ein Überleben ermöglicht, die Begegnung mit Natur- und Tierwelt sind zentrale Motive.
Doch Eisner schildert auch das Leben der Menschen, die Aus-grenzung der Russlanddeutschen und anderer, aber auch die humane Solidarität der Menschen angesichts der Bedrohung durch Natur, Tier und Mitmenschen. Der Leser erlebt eine Welt der Mythen und Geheimnisse, der Jäger und Fischer, der gren-zenlosen Weite.
Kaum jemand wird sich der Faszination des elementaren Geschehens entziehen können, die der Autor mit der ihm eigenen Sprache erzielt. Hier schreibt und erzählt jemand, der Teil dieser Welt war und ist.
Wladimir Eisner
geb. 1947 in Russland (Gebiet Omsk). War viele Jahre als Berufsjäger im nördlichsten Norden Sibiriens tätig. Mitglied einiger Expeditionen zum Nordpol. Mitglied der inter-nationalen Forschungsexpedition „Mammuthus".
Mitglied des Literaturkreises der Deutschen aus Russland.
Als Schriftsteller, Journalist und Übersetzer bekannt. Publiziert in russischer und deutscher Sprache in verschiedenen Medien.
Mehrere Literaturpreise.
„Links vom Polarstern"
Wladimir Eisner. Links vom Polarstern. Erzählungen und Essays. Geest-Verlag. ISBN 978-3-86685-111-5. 10 Euro
Eine Rezension von Anatolie Steiger
Man kann nun alle beneiden, die es vorhatten, das Buch von Wladimir Eisner „Links vom Polarstern" zu lesen. Sie stehen vor einer wunderbaren Reise in eine unbekannte, märchenhafte und doch harten realistischen Welt. Welt einer fremden und wilden Schönheit, in die man immer weiter hineinschauen möchte und vieles entdecken kann. Und wie nach jeder angenehmen Reise wird man überaus bedauern, die Gegend und die Menschen zu verlassen und zurückkommen zu müssen.
Nordlicht im Norden Sibiriens. Ewiger Schnee, weiße Stille, karge Natur und enorm starke Menschen, die zu gewöhnlichen täglichen Problemen - Liebe und Freundschaft, Hass und Neid, Arbeit und Krankheit - noch eine außerordentliche Aufgabe haben. Eine fast unmögliche Aufgabe, sich an die wilde und harte Natur mit ein paar Tagen Sommersonne im Jahr und zehn Monaten Kälte anzupassen, sogar mit der Natur zu kämpfen. Die Erzählungen und Essays von W. Eisner sind eine seltsame Kombination von derber Realität und hoher Romantik in der von Schnee und Kälte; Bären und Hirschen, Mythen und Wahrheit geprägten Umgebung. Es ist eine gelungene Beschreibung des täglichen Lebens von Menschen, die nicht nur die Natur und wilde Tiere bekämpfen müssen, doch auch sich selbst - ihre Schwäche, ihre Einsamkeit, ihre Sennsucht nach Gesellschaft und Wärme.
Aber wie überall auf der Welt, herrscht vor dieser eigenartigen Fassade des Polarkreises, dasselbe alltägliche Leben. Nur der Kontrast zwischen Gutem und Bösem, Liebe und Verrat, Stärke und Schwäche ist deutlicher ausgeprägt und wirkt auf die Menschen mit aufbauender oder vernichtender Kraft.
Was hält die Menschen dort in der Tundra mit zeitlosem Schnee und sechsmonatlichen Nächten? Die Liebe? Die Neugier? Der Mut? „Keine Wege gibt's hier, keine Autos, keine Ampeln. Nur das flachende grüne Nordlicht und die Sterne über dem Kopf. Gut zwei Ellen nach rechts vom Polarstern - da leuchtet ein besonders lieber Stern. Der ‚Tanja-Stern'. Noch 400 km in der Richtung auf den ‚Tanja-Stern', da ist sein Jagdrevier, sein Zuhause. Da, auf der Türschwelle, steht Tanja und schaut nach Süden." Für den jungen Helden mit heißem Blut aus der Erzählung „Zwei Ellen nach links vom Polarstern" gibst es nichts auf der Welt, was ihn anhalten kann, seiner geliebter Frau einen Strauß Blumen zu bringen.
Die herrliche Erzählung über eine außerordentliche Reise eines frischen zarten Nelkenstraußes aus Moskau durch siebentausend Kilometer mit dem Flugzeug und dann weiter in Richtung Polarstern gibt eine klare Antwort. - die Liebe. Und hier kommen weise und harte Worte von Jack London in Erinnerung, der sicherlich einige Spuren in Eisners Prosa hinterlassen hat und an den man sich bei der Lektüre entsinnen kann: Der Mensch ist gemacht, damit er lebt, nicht damit er existiert.
Und der Held aus „Semjonov, der Henker" hat teilweise Recht wenn er sagt: „Der Norden zieht an, er bleibt einfach im Menschen. Wer einmal da war, der kommt wieder." Doch das gilt nur für gegenwärtige Zeit, für freiwillige Romantiker und die eingeborene Bevölkerung. Man muss nicht vergessen, dass diese Gegend auch anders sein könnte. Ein Reichtum an Fisch und Tier, vielen Bodenschätzen wie Gold, Almas, Kohle wollen viele ausnutzen, was teilweise auch gelungen ist. Auch die Sowjetregierung wusste es zu schätzen. Und desto billiger die Arbeitskräfte waren, desto mehr Geld floss und fließt in die kommunistischen Kassen. Seit der Kollektivierung in der Sowjetunion (1929-1933) wurden hierhin sogenannte Feinde des Volkes verbannt, die unter Bewachung und unmenschlichen Bedingungen diese Schätze erbeuten müssen. Und der Krieg (1941-1945) kam der Obrigkeit auch zu Recht. Tausende, Millionen Menschen - Kalmyken Tschetschenen, auch Russlanddeutsche - wurden herangekarrt, damit sie diese Schätze holten. Nur einige haben es überlebt.
So beschreibt das ungeheuerliches Verbrechen der Sowjetregierung gegen die eigene Bevölkerung ein dolganischer Fischer, Caligula genannt, im gebrochenen Russisch: „am kahlen Ufer ausgeschifft. Ihnen gesagt: ‚Hier Strick, hier Boot, hier Netz. Fischfang treiben. Plan erfüllen. Nicht Plan, nicht Brot!' Aber kein Haus, kein Brett, kein Balken, kein Nagel... Nix. Nur Treibholz am Ufer. Viel Frauen, jung und alt. Junge Männer nix. Wer Haus bauen? Schon minus zwanzig. Schlecht... Grundschlecht... Dann im Dauerfrostboden Gruben ausheben, aus Treibholz Dach machen, aus Dieselöltonne Ofen bauen, schlafen gehen. Doch Frostboden bei Wärme immer tauen, tauen, schmelzen, immer Kot, Matsch, Nässe, immer kalt. Draußen Winter. Vierzig, fünfzig, sechzig Grad. Leute husten, dann sehr husten, dann sterben..."
Das waren die Russlanddeutschen, die 1942 hierher verbannt wurden und Blut und Wasser schwitzen mussten, nur weil sie Deutschen waren.
Jede Geschichte als auch jedes Essay in diesem Buch ist für Leser eine unübertreffliche und spannende Endeckung von Charakteren und Konflikten, Zuständen und Ereignissen. Und genauso wie der Norden, der einige Menschen nicht loslassen kann, so lässt auch das Buch den Leser nicht los - man will einige Stellen und Geschichten wieder lesen. Dem Autor ist gelungen, seine Leser dazu zu bringen, sich über die Helden des Buches zu wundern und sich sogar Sorgen um sie zu machen. Der Leser wird bis zur letzten Seite im Hochdruck gehalten. Es ist eine ungewöhnliche und leidenschaftliche Reise ins Unbekannte mit vielen unerwarteten literarischen Wendungen, die einen Schriftsteller mit viel Potenzial erkennen lassen.
Der Autor steht auf einem abenteuerlichem Pfad vieler Schriftsteller (Hemingway, Melville, Traven, schon genannter Jack London), die die Geschichte zuerst erleben müssen, bevor sie niedergeschrieben wird. Als Mitglied der internationalen Forschungsexpedition „Mammuts" hat Wladimir Eisner seine Erlebnisse auch in zahl- und inhaltreichen Essays dargestellt. Ich vergesse nie den Zahn von einem Mammut, den er einmal gezeigt hatte - zwei großen Männerfäuste groß und wie ein Gusseisen schwer und hart. Scheinbar noch viel härter. Ein Zahn ... über drei Kilo ... Was muss das für ein Tier gewesen sein, was müssen das für Menschen sein, die so einen Riesen mit fast bloßen Händen (nur Stöcken und Steine) besiegen konnten! Und bestimmt haben auch einige Helden von Eisner, sowie auch ihre Protagonisten, einige Eigenschaften von unseren Vorfahren parat. Mit Mut im Herzen und Kühnheit im Kopf leben sie ihr Leben.
Anatoli Steiger,
Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller
und Literaturkreis der Deutschen aus Russland.