Fegers, Markus - Fischbrötchen zum Frühstück
Markus Fegers
Fischbrötchen zum
Frühstück
Geest-Verlag 2020
ISBN 978-2-86685-809-1
272 S., 12,50 Euro
Im nunmehr dritten Band seiner Stories lässt uns der Autor erneut teilhaben an Begegnungen seiner erzählenden Figuren mit besonderen Menschen. Aus diesen zumeist zufälligen Aufeinandertreffen zweier Personen entwickelt Fegers im Dialog eine raffiniert komponierte Geschichte, die heiter oder auch nachdenklich mit Stereotypen spielt, uns jedoch immer wieder fesselt – nicht zuletzt deshalb, da wir das Ende kaum voraussehen können. Es sind Geschichten, die mit unseren eigenen Vorurteilen arbeiten und uns diese gelegentlich schmerzhaft bewusst machen.
„Wunderbare Geschichten, die den Leser in ihren Bann ziehen: unsentimental, unterhaltsam und humorvoll; Markus Fegers ist ein hervorragender Erzähler!“
(Gert Udtke, Journalist)
Markus Fegers
geboren 1955 in Mönchengladbach, arbeitete als Förderschullehrer, ist nebenberuflich viele Jahre als Illustrator und Autor tätig und spielt Saxofon in verschiedenen Jazzgruppen.
2011 erschien im Geest-Verlag der erste Band seiner Kurzgeschichten. ,… nur auf einen Kaffee!’, dem 2016 der Band ‚Darf ich nachschenken?‘ folgte - ebenfalls im Geest-Verlag.
Anmerkung
„Fischbrötchen zum Frühstück“ – Musik und Literatur
Bei nahezu der Hälfte der in „Fischbrötchen zum Frühstück“ versammelten Geschichten spielt neben literarischen Zitaten die Musik eine wichtige Rolle – manchmal ist sie gar „heimliche Protagonistin“ (wie es Prof. J. Ullrich im Vorwort zum Vorgänger-Buch
„Darf ich nachschenken?“ beschrieb). Im Einzelnen:
Taufe
Das „Open-Air irgendwo am Arsch der Welt“ ist zweifelsfrei als das mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Viersener Event „Eier mit Speck“ zu erkennen – ein Festival für Indie, Metal, Rock, Punk, Electronic und Hip Hop. Statt mit Tess im knöcheltiefen Matsch zu tanzen, hält sich der Erzähler lieber an das namengebende deftige Frühstück.
Bernstein
Bernd, der Jugendfreund des Erzählers, verehrt den Jazz-Pianisten McCoy Tyner, vor allem wegen dessen wuchtiger linker Hand und der bahnbrechenden Akkord-Schichtungen.
Nach dem Probenmarathon während einer Kammermusikwoche führen der Erzähler, Viola und Bernd ein Trio für Klarinette, Cello und Piano auf – Mozarts „Kegelstatt-Trio KV 498“.
Allerdings verspielt sich der Erzähler häufig, weil ihm Viola gegenübersitzt – „in einem hübschen Kleid und mit einer verrückten Hochsteckfrisur, an der irgendwer ziemlich lange gebastelt haben musste“.
Heiraten
Der elfjährige Erzähler ist verliebt in Franziska, die große Schwester seines besten Schulfreunds. Deren Liebe allerdings gilt mehr der Klarinette – und vielleicht auch ihrem Begleitpianisten Heiner. Gemeinsam proben die beiden das Adagio aus W. A. Mozarts Klarinettenkonzert A-Dur KV 622.
Perfektes Englisch
Der Erzähler pfeift „Die Gedanken sind frei“. Text und Melodie dieses ewigen Klassikers der Volksmusik sind allerdings seiner Nachhilfeschülerin Maaike, die offensiv über eine Beziehung nachdenkt, unbekannt.
Van Goghs Ohr
Jan trifft auf Mika nach deren wöchentlicher Klavierstunde in der Musikschule. Was sich in ihrer „roten Notentasche aus Plastik, ähnlich wie einer dieser Frühstücksbeutel, mit denen ich früher zum Kindergarten lief“, befindet, weiß er allerdings nicht – vielleicht ein paar Preludes von Chopin? Immerhin bezeichnet sich Mika als „ziemlich gute“ Pianistin…
Jan besitzt als Erinnerung an seinen Vater, „der sich über den Teich in die Staaten abgesetzt hat“, nur einen Stapel alter Vinylscheiben – vor allem Avantgarde-Jazz vom Free-Jazz-Pionier Albert Ayler, dem Multiinstrumentalisten Roland Kirk (der drei Saxofone gleichzeitig blies) und vor allem von Eric Dolphy (Querflöte, Altsaxofon und Bassklarinette).
Wahrscheinlich hilft Jan dessen „Hi-Fly“ (auf der LP „Copenhagen Concert“ von 1961), ein Duo mit dem Kontrabassisten Chuck Israels, nach einem aufregenden Tag in den Schlaf zu finden: „Sirrendes, flirrendes Vogelgezwitscher. Flügelschlagen. Wattewolken. Himmel.“
Tango
Grund für die Erstbegegnung des Erzählers mit seiner Nachbarin Helen ist das überlaut gehörte Brahms Trio Opus 114 für Klarinette, Cello und Klavier, wahrscheinlich in einer Aufnahme der deutsch-israelischen Klarinettistin Sharon Kam, vielleicht aber auch der Klarinetten-Ikone Sabine Meyer.
Paquito, der „gefeierte kubanische Klarinettist“, dessen Konzert Helen auf Einladung ihres Filialleiters besucht (und damit die Eifersucht des Erzählers entfacht), ist niemand anders als der Exilkubaner Paquito D’Rivera (Klarinette, Sopran- und Altsaxofon), in Jazz, Klassik und Fusion-Musik gleichermaßen zu Hause. Er präsentiert im „Festsaal“ (der Viersener Festhalle – hier trat er im Rahmen eines der jährlichen Jazzfestivals tatsächlich auf!) einige Tango-Nuevo-Melodien des argentinischen Bandoneon-Spielers und Komponisten Astor Piazolla.
Hand aufs Herz
Auch hier kommt das Adagio aus Mozarts Klarinettenkonzert zur Aufführung, diesmal gespielt von der Straßenmusikerin Maria zu „sanften Streichersounds“ aus einer winzigen Musicbox, sicher in einer gängigen Adaption für B-Klarinette.
Der Erzähler, ein kontaktscheuer und planungsbesessener Bibliotheksmitarbeiter, zitiert –
als er sich von Maria schmählich hintergangen und versetzt fühlt – Zeilen des Ringelnatz-Gedichts „Das Mädchen mit dem Muttermal“, erstmals erschienen in „Allerdings“ (1928).
Glück und Glas
Janne („Jane The Brain“)nutzt einen Songtitel von Bob Dylan (Times They Are A-Changin’), um ihre (vor allem psychische) Veränderung der letzten Monate zu beschreiben.
Chancen
Der Erzähler, ein verhinderter Romancier, zitiert gerne Kästner („Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken“ aus: Sachliche Romanze) oder Wondratschek („Früher begann der Tag mit einer Schusswunde“), während seine mechanische Olivetti-Schreibmaschine in azurblauer Hammerschlag-Lackierung vergeblich darauf wartet, „die ersten Kapitel seines Romans in graues Recycling-Papier hämmern zu können“.
Joe, ein guter Freund des Erzählers, ist Jazzmusiker und arbeitet aktuell an einem Bigband-Arrangement zu ‚Pannonica‘, einer Komposition des Bebop-Wegbereiters und pianistischen Solitärs Thelonious Monk.
Tour de France
Im Ladenlokal des frankophilen Bäckers Jakob Niessen („Jaques‘ Baguetterie“) „chansoniert“ aus versteckten Lautsprechern Charles Aznavour.
Smile
Der Erzähler, ein (fiktiver) Trompeter und Sänger, trägt bei Auftritten gerne Anzüge im
Stil Till Brönners, der nicht nur als Jazzmusiker und Fotograf, sondern auch als Dressman reüssierte. Die Zufallsbekanntschaft Soon-Yi versucht, den Erzähler durch ihr per Internet-Recherche und YouTube-Videos gewonnenes Wissen über Jazztrompeter (Louis Armstrong oder Chet Baker etwa) und Songtitel („I will wait for you“, „Smile“,…) zu beeindrucken.
Aushilfe
Im Bistro ‚Theodor‘ läuft auch am letzten Adventssamstag noch statt des allgegenwärtigen „Weihnachtsgeklingels“ Smooth-Jazz (Astrud Gilberto, begleitet von Stan Getz‘ elegisch-sanftem Saxofon) – allerdings möchte die Aushilfskellnerin Olivia beim Aufräumen lieber „etwas mit mehr Schwung“ hören; ihr Versuch, die Playlist zu ändern, hat ungeahnte Folgen.
Callboy
Die letzte Geschichte des Buchs spielt zum Jahresende. Es überrascht also weder, dass im Kassenhaus einer Tankstelle, deren Stammkunde der Erzähler - abgebrochener Jurist und Taxichauffeur - ist, „George Michael im Hintergrund das letzte Weihnachtsfest besingt“, noch, dass der Erzähler zum Feierabend bei „Christmas Songs“ der kanadischen Jazz-Sängerin und Pianistin Diana Krall Entspannung sucht.